19.06.2015

VIVA VICTORIA! Frau sein im 19. Jahrhundert

Ausstellung des Fachbereichs Gestaltung im Museum Huelsmann eröffnet.

Bielefeld (fhb). Studierende der Fachhochschule (FH) Bielefeld aus den Studienrichtungen Mode, Fotografie und Grafik haben sich ein Semester lang intensiv mit dem Thema "Frau sein im 19. Jahrhundert" auseinandergesetzt. Die Ergebnisse in Form von Bildern, Texten, Objekten, Videoinstallationen und Modekreationen sind vom 18. Juni bis zum 8. November 2015 im Bielefelder Museum Huelsmann zu sehen.

Betritt man das achteckige Foyer der weißen Villa des Museum Huelsmann, trifft man auf eine Collage mit Zeichnungen und Zitaten berühmter Persönlichkeiten des 19. Jahrhunderts. Darunter auch Königin Victoria von England, Namensgeberin der Ausstellung. "Dieser Themenraum zeigt den Kern der Ausstellung", erklärte Dr. Hildegard Wiewelhove, Leiterin des Museums. "Die Studierenden sind nicht bei den Schnörkeleien hängen geblieben, sie haben auch die dunklen Seiten und Gegensätze dieser Zeit betrachtet", sagte Wiewelhove am Tag der Eröffnung und verwies auf ein Zitat Victorias, in dem die gestandene Monarchin ihre eigene Position für widersinnig und Frauenrechte als gefährlichen Irrsinn bezeichnet. 

Der Katalog zur Ausstellung erklärt den Bezug zwischen Historie und den Exponaten. So stehe das 19. Jahrhundert für den aufgeklärten, mündigen Bürger, für Industrialisierung, technischen Fortschritt und Liberalisierung der Märkte. Geradezu befremdlich erscheint vor dem Hintergrund der stolzen Fortschrittsgesellschaft das Bild der Frau: Frauen blieben von der Entwicklung strikt ausgeschlossen, während sie von Männern völlig abhängig waren. Bei allem technischen Fortschritt und Beschleunigung wurden die Frauen auch durch ihre voluminöse, schwere Kleidung daran gehindert, Schritt zu halten. So muss man sich heute fragen, woher die Faszination für eine Epoche rührt, in der Frauen Tonnen von Stoff am Leibe trugen und im »trauten Heim« für Mann und Kinder schufteten. Gibt es vielleicht eine heimliche Sehnsucht nach Zeiten, in denen die Geschlechterverhältnisse strikt geordnet waren? Hat sich bis heute, außer der Mode, überhaupt so viel geändert?

Diese und ähnliche Fragen stellten Studierende des Fachbereichs Gestaltung in Seminaren der Professoren Dr. Anna Zika (Theorie der Gestaltung/Kunstwissenschaft), Willemina Hoenderken (Mode-Design) und Nils Hoff (Illustration). Hoenderken beschrieb die Betrachtung des Themas aus diesen drei Perspektiven als eine harmonische Arbeit: "Der Gipfel war, in den letzten zwei Wochen mit den Studierenden wie ein Bienenschwarm die Villa einzunehmen." Etwa zehn Tage haben die Studierenden gebraucht, bis alle Objekte ihren Platz gefunden haben. "Dabei ist die Villa, 1852 bis 1855, also mitten im 19. Jahrhundert erbaut, der perfekte Ort für diese Ausstellung", freute sich Hildegard Wiewelhove. "Im Untergeschoss fügen sich die Installationen und Kleidungsstücke ideal in unsere Dauerausstellung sein", schwärmte die Museumsleiterin. Insgesamt werden etwa 50 Werke von 18 Studentinnen und Studenten gezeigt. Ein Kernteam von sieben Studierenden hat sich um das Ausstellungskonzept und den Aufbau gekümmert. Bis zur letzten Minute vor Ausstellungsbeginn wurde aufgebaut, geräumt und gewienert.

Mode-Studentin Kristina Koslow gehört zum Kernteam der Ausstellung und präsentiert zwei Kleider aus ihrer Projektarbeit. Das eine besteht aus 13 Metern Kunstleder, das in 325 Streifen mit 150 cm Länge geschnitten wurde. Die Oberflächenstruktur wurde durch 48.750 Einschnitte in kreisförmig angelegte Streifen erzielt. Menge und Eigengewicht des Materials verleihen eine erdrückende Schwere. Das Kleid soll den Gegensatz widerspiegeln zwischen einem ungestümen Drang nach Freiheit, Selbsterfüllung und Leidenschaft und der Schwere der Erkenntnis um alle Ausweglosigkeit. "Gleichzeitig kann das Kleid eine Rüstung sein für die Frau, die ein bestimmtes gesellschaftliches Bild erfüllen musste", erklärt Kristina Koslow.

Von der "Präraffaelitischen Bruderschaft", einer jungen Künstlergruppe aus England, ließ sich Liliana Mendes Schneebeli inspirieren. Die Frauen wurden von den Prä-Raffaeliten melancholisch und weich dargestellt, mit dem Wunsch, die Jugend und ihre Reize durch einen frühen Tod auf ewig zu konservieren. Rotes Frauenhaar, leichte weiche Stoffe wie Seide und zarte Farben kennzeichnen ihre Modelle, kombiniert mit Rattangeflecht.

Einen "verlorenen Druck" zeigt Student Robert Lohmann in der Ausstellung. Unter dem Titel "Von Tagen zu Jahren" spiegelt er in sechs Drucken die Biographie einer fiktiven Person. Erst ist nur die Frau zu sehen, es folgen die Unterdrückung durch den Mann, Kindererziehung, der Bau der Kanalisation, Alkoholismus und nochmals das Thema Hygiene im Zusammenhang mit der Kanalisation. Alle sechs Lebensstationen sind nach und nach auf derselben Druckplatte entstanden. Keine Station lässt sich jemals reproduzieren - wie im wahren Leben. "Deshalb nennt sich das Verfahren  verlorener Druck", erklärt Robert Lohmann. Die Zeichnung hat er ohne Vorlage mit einer Kaltnadel auf die Druckplatte aus Zink geritzt und im Tiefdruckverfahren auf Büttenpapier gebracht.

Ein zeitgenössisches, wenn auch inzwischen wieder veraltetes Material hat Justine Loddenkemper für ihre Arbeit gewählt: "Das sind Magnetbänder aus VHS-Kassetten". Ein ganzes Kleid hat sie aus dem Band geschneidert. Dazu kombiniert sie ein klassisches Herrensakko in verschiedenen Variationen. "Das Sakko steht für die Oberschicht, die sich mit der Industrialisierung entwickelt hat", so Loddenkemper. Die Farbe Schwarz stünde im 19. Jahrhundert gleichzeitig für Armut und Tod wie für Wohlstand und guten Geschmack und zeigt somit einen weiteren Gegensatz auf.

Die Ausstellung VIVA VICTORIA in der weißen Villa des Museum Huelsmann im Ravensberger Park in Bielefeld läuft noch bis zum 8. November.