01.11.2001

22. Bielefelder Fotosymposium 2001

Bild und Gedächtnis.

Die computerisierten Archive haben unser Verständnis von Gedächtnis tiefgreifend verändert. Die Faktizität, praktisch über alle gespeicherten Daten verfügen zu können, stellt alle Erinnerungspraktiken der Kulturgeschichte auf den Kopf, war es doch gerade Teil der überlieferten Mnemotechniken, mit dem Vergessen, der Amnesia, zu rechnen und dieser Eigenschaft des menschlichen Gedächtnisses mit verschiedenen Techniken und Methoden Erinnerungsspuren zu entlocken. Der Verdacht liegt nahe, dass mit den digitalen Speichermedien jene abstrakte Erinnerung ihren Ort gefunden hat, die als geistloser Behälter, als mechanisches Gedächtnis fungiert und die auf persönliche Erinnerungsbilder nicht mehr angewiesen ist.

Gleichwohl stellt die Überflutung der Fakten neue Anforderungen an die mit der Erinnerungsfähigkeit gekoppelte Einbildungskraft. In den Bildmedien der Moderne kommen einander überlagernde Schichten zum Zuge, die bereits Marcel Proust mit einer 'mémoire involontaire', mit einer unwillkürliche Erinnerung zu nutzen verstand, um individuelle Erinnerungsfragmente aus der 'réserve', aus den persönlichen Archiven hervorzulocken, die sich dann zu Bildern der Erinnerung verdichteten. Der Bilderatlas 'Mnemosyne' von Aby Warburg suchte mit einer prismatischen, zur Vernetzung anregenden Zusammenstellung heterogener Bildwelten, das Gedächtnis als Organ visueller Erinnerung und psychischer Energien zugleich zu verstehen.

In den letzten 10 Jahren sind zahlreiche Publikationen zu aktuellen Problemen des Verhältnisses von 'Kultur und Gedächtnis' erschienen. Wir stellen uns die Aufgabe, diese im wesentlichen anhand der mündlichen und schriftlichen Überlieferungskultur entwickelten Fragen am Verhältnis Bild und Gedächtnis zu fokussieren, u. a. deshalb, weil die digitalen Medien ebenfalls unsere Einstellung zum Bild verändert haben, etwa jene zur Differenz von Original und Reproduktion. Unendliche Fakten hier, unendliche Reproduzierbarkeit dort, stellen die menschliche Wahrnehmung vor neue Aufgaben, zu deren handlungsorientierten Reflexion dieses Symposium beitragen möchte.


Veranstalter:

Studienrichtung und Forschungs- und Entwicklungsschwerpunkt Fotografie und Medien am Fachbereich Gestaltung der Hochschule Bielefeld.
Wissenschaftliche Leitung: Martin Roman Deppner.


Referentinnen und Referenten, Themen:

 

  • Martin Roman Deppner: Bild und Gedächtnis. Eine Problemskizze.
  • Karl Clausberg: Wahrnehmungsbilder und Bildbewusstsein - Vorgeschichte der Gedächtnisproblematik.
  • Kirsten Wagner: Die römische Mnemotechnik als Leitbild für die computergestützte Datenverwaltung. Oder: Vom 'Simonides Effekt'.
  • Jörg Boström: Die "enthüllende Kraft der Kamera" (Karl Pawek).
  • Günter Zint: Zur Bildsprache eines engagierten Bildjournalisten.
  • Günter Zint: Geistiger Diebstahl. Veränderungen durch die Digitaltechnik im Beruf des Fotojournalisten.
  • Diethard Kerbs: Projekt Fotografie und Gedächtnis.
  • Andreas Dress: Erinnerung und Kreativität - am Beispiel mathematischer Forschung.
  • Anna Zika: Hoheit lassen blitzen. Zur Ikonografie aristokratischer Selbstdarstellung im Lichtbild.
  • Andreas Beaugrand: Abbild Mensch. Das Individuum als Thema der Fotografie.
  • Stefan Hartmann: Bilder und Business - Fotografie als multinationale Handelsware.

 


Ausstellung in der Hochschulgalerie:

Günter Zint: Fotografien.