09.06.2016

Strategieworkshop zur zirkulären Wertschöpfung

Unter dem Namen „Strategie Workshop OWL – Modellregion für zirkuläre Wertschöpfung“ fanden sich am 2. Juni Experten aus Wirtschaft und Politik am Fachbereich IuM zusammen, um das Thema für interessierte regionale Unternehmen und Studierende zugänglich zu machen.

„Cradle-to-cradle“. Nicht jeder kann mit dieser Aussage sofort etwas anfangen, obwohl diese für unsere Gesellschaft immer wichtiger wird. Auch aus diesem Grund veranstaltete der Fachbereich Ingenieurwissenschaften und Mathematik (IuM) in Zusammenarbeit mit dem Umweltamt der Stadt Bielefeld, der Effizienz Agentur NRW und dem VDI OWL am 2. Juni 2016 einen Strategieworkshop. Moderiert wurde die Veranstaltung von Professorin Eva Schwenzfeier-Hellkamp, Studiengangsleiterin des Studiengangs Regenerative Energien im Fachbereich IuM der Fachhochschule Bielefeld.

Wörtlich übersetzt bedeutet cradle-to-cradle „von der Wiege bis zur Wiege“ und beschreibt den neuen Denkansatz der zirkulären Wertschöpfung zur Wiederverwendung und Aufbereitung von jeglichen Produkten. 

Dekan Prof. Lothar Budde begrüßte die Gäste und Studierenden. „Ich freue mich, Expertise zum Thema cradle-to-cradle am Fachbereich zu begrüßen. Es handelt sich dabei um ein sehr wichtiges Thema und sollte deshalb in die Lehre integriert und in den MINT Studiengängen aufgegriffen werden, sodass sich die Fachhochschule Bielefeld zu einer Modellhochschule in diesem Bereich entwickeln kann“.

Zunächst hielt Reinhold Rünker vom Wirtschafsministerium des Landes NRW (Ministerium für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk) einen Vortrag über die politischen Ziele von cradle-to-cradle. Laut einem Artikel mit dem Titel „Zu schade für die Tonne“ versuche Apple eine neue Idee umzusetzen, bei der gebrauchte Handys auseinander montiert werden, um die Rohstoffe wieder zu verwenden. Dennoch lande „guter Elektroschrott heutzutage noch viel zu häufig auf dem Müll“, betont Rünker. Er stellt die Umgebung der gleichzeitig steigenden Weltbevölkerung der Ressourcenknappheit gegenüber und kommt zu dem Schluss, dass ein „Umdenken“ in der Gesellschaft beginnen muss. Dabei bieten die sogenannten disruptiven Technologien Chancen, um den Ansprüchen des sozialen und globalen Wandels zu entsprechen, wie zum Beispiel die Auswertung von Big Data, die Machine-to-Machine Communication oder das Cloud Computing. Es geht darum, schon bei dem Design und der Produktion von Produkten zu überlegen, wie hinterher die enthaltenen Wertstoffe vollständig wiederverwendet werden können und etwas Neues daraus zu kreieren. Reinhold Rünker grenzt dabei klar vom einfachen „Recyceln“ ab. Und spricht anstatt cradle-to-cradle lieber von zirkulärer Wertschöpfung, bei der es sich wörtlich eben um die Schaffung von etwas Neuem handele, zum Beispiel durch die drei Komponenten „reuse, rethink und upcycle“. Dabei soll schon ab dem Design darauf geachtet werden wie sich beispielsweise die Oberflächen von Wertstoffen mit der Zeit verändern, „weg vom reinen Effizienzdenken“, das vor allem die Optimierung vorhandener Produktionsprozesse mit weniger Wertstoffverbrauch im Blick hat „hin zu einem neuen Effektivitätsdenken“ nach dem man neue Wertschöpfung mit alten Ressourcen betreiben kann, schloss Rünker.

Es folgte Dr. Tanja Scheelhaase von der EPEA (Environmental Protection Encouragement Agency) Internationale Umweltforschung mit ihrem Vortrag. Die EPEA unterstützt weltweit Unternehmen, die Standards von cradle-to-cradle umzusetzen, um eine Zertifizierung zu erlangen. Auch sie stellte zunächst die Herausforderung der Rohstoffverknappung dem Erfordernis von Nachhaltigkeit gegenüber und forderte die Entkopplung der eingesetzten Rohstoffe vom Wachstum. Tanja Scheelhaase nennt dabei die fundamentalen Treiber den „Push-Faktor“ begrenzte Ressourcen und den „Pull-Faktor“ die technologische Entwicklung. Die Ressourcenverschwendung von zum Beispiel „Seltenen Erden, Boden, Wasser und Luft“ müsse eingedämmt werden und eine „Neue Art zu Denken“ müsse einsetzen. Dabei sollten neue Technologien wie „Industrie 4.0, Plattformen, Big Data, 3-D Druck“ eingesetzt werden. Gleichzeitig gebe es aktuell Qualitätsprobleme, zum einen beim Plastik, denn Mikroplastik sei schädlich für die Umwelt und zum anderen bei den Inhaltsstoffen mit Gesundheitsbedenken. Momentan werden langlebige Materialen für eine kurze Gebrauchsdauer verwendet.

„Wenn man den Parkschein wegschmeißen könne, sodass dieser dabei auch noch Nährstoffe in die Erde bringen könne...“, so die geäußerten Gedanken von Dr. Scheelhaase. Bisher höchst umweltschädliche Verbrauchsgüter könnten so nutzbringend wieder in die Biosphäre gebracht werden. Vom Beginn der Produktion an, sollten Handys so designt werden, dass die seltenen Erden wieder komplett extrahiert werden können, deshalb fordert Tanja Scheelhaase das Design anzupassen. Des Weiteren sollten Kosmetika wieder biologisch abbaubar werden, mineralölhaltigen Substanzen sollten nicht mehr in Nahrungsmitteln stecken, gesundheitsschädlicher Abrieb bei Reifen vermieden werden und Textilien neu gedacht werden. Ihr Beispiel „Kleider könnten nach Gebrauch wieder auf Baumwollfeldern als Dünger dienen“. Ironisch fügt Tanja Scheelhaase hinzu „Wenn ich einen Fernseher kaufe, will ich keine 4300 Chemikalien besitzen, sondern eigentlich nur fernsehen schauen“.

Der dritte Vortrag wurde von Rolf Brunkhorst vom Unternehmen Schüco gehalten, er leitet dort das Ressort Nachhaltigkeit. Er gab einen Kurzüberblick über die Definition von zirkulärer Wertschöpfung und stellte das in über 80 Ländern vertretene Unternehmen Schüco mit seinen 4800 Mitarbeitern vor, das vornehmlich (Glas-) Fassaden an Gebäuden gestaltet. In Gebäuden werde 40 % der gesamten genutzten Energie auf der Welt genutzt, betont Brunkhorst. Er stellte Fakten zu Ressourcenvorkommen vor, unter anderem, dass es Schätzungen zufolge in 30-40 Jahren kein Kupfer mehr gebe und das Öl wie auch Gas bald nicht mehr abbaubar sein werden. Dies sei eine kurze Zeit „nur noch eine Generation“, vermutet Rolf Brunkhorst.

Der Abriss eines Gebäudes und dessen Deponie löst Kosten aus, während die Weiterverwertung der Rohstoffe Gewinne bringen könnte. Schüco sei Vorreiter auf dem Gebiet der Wiederverwendung. Das Unternehmen habe geschlossene Kreisläufe bei Aluminium in Deutschland möglich gemacht, bei dem fast reines Aluminium nach Einschmelzung wieder aus den bereits verwendeten Materialien gewonnen werden kann. Er betont aber auch, dass es in den Niederlanden, weitaus fortgeschrittenere Projekte gebe, bei denen noch mehr Wert auf Mitarbeitergesundheit und Sicherheit gelegt werde als in Deutschland. Das Problem derzeit seien dabei die Investoren, die schlussendlich entscheiden, wie viel Geld in Nachhaltigkeit bei neuen Gebäuden eingebaut wird. Er betont die Wichtigkeit, in Deutschland weiter an Verbesserungen zu arbeiten. Was ist dazu nötig? Zum einen bräuchte es Zertifizierungen, die Umstellung von Prozessen, neue Produkt-Systeme, die Umstellung der gesamten genutzten Energie auf erneuerbare Energien, aber zum anderen auch die Marktentwicklung nach höherer Nachfrage, intelligente und kreative Technologien, sowie die Berücksichtigung sozialer Aspekte.

Im Anschluss stellte Marita Mess der WEGE mbH (Wirtschaftsförderung der Stadt Bielefeld) das Modellprojekt in der Region OWL vor. Das EU-Projekt umfasst elf Partner aus sechs verschiedenen Ländern. Die beteiligten Länder waren Großbritannien, Deutschland, Luxemburg, Belgien, Frankreich und die Niederlande mit den Städten London, Wolverhampton, Lille, Brüssel, Venlo, Luxemburg, Eindhoven, Antwerpen und Bielefeld. Das Ziel war es, einen Leitfaden für die künftige Entwicklung zu formulieren und Lösungen bei der Anwendung der „cradle-to-cradle“ Philosophie bei Gewerbeflächen zu finden. Im Rahmen des Projekts habe es drei Pilotprojekte in Lille, Luxemburg und London gegeben. In London wurden geschlossene Materialkreislaufsysteme geschaffen, in Lille wurde die Umsetzung von „cradle-to-cradle“ auf eine Branche projiziert und in Luxemburg entstand ein energieautarkes Bürogebäude.

In Bielefeld gab es eine Studie zur Frage „wie kann die Entwicklung eines Pilotprojektes konzipiert werden?“. Angesiedelt was dieses im Dezernat „Planen und Bauen“ bei der Stadt Bielefeld. Die Unternehmen Schüco, Goldbeck sowie die Stadtwerke Bielefeld standen dabei mit ihrer Expertise zur Verfügung. Außerdem wurde eine Veranstaltungsreihe initiiert, um mit den Bürgerinnen und Bürgern in den Dialog zu treten. Das Ergebnis der Studie war, dass die Implementierung der „cradle-to-cradle“ Kriterien auf einer Fläche nicht mit der Betrachtungsweise auf ein Produkt oder ein Material gleichzusetzen ist.

Zum Abschluss an die Vorträge, bot sich bei Kaffee und Kuchen die Gelegenheit zum Gespräch. Dabei ging es um den Gedankenaustausch von Ideen und Impulsen nach dem „Open Space“- Prinzip: Jeder kann teilnehmen und Ideen aufschreiben, die Ergebnisse werden dann später ausgewertet und weiterverwendet. Nach der Stärkung ging es mit Workshops weiter, die je nach Interessensschwerpunkt ausgewählt konnten.

Besonders interessant waren die Workshops für die Studierenden: sSo können diese nach ihrem Studium ihre Ideen mit in die Industrie nehmen und so „einen Samen in den Unternehmen pflanzen“, schließt Prof. Schwenzfeier-Hellkamp die erfolgreiche Veranstaltung. (akb)