Von einer realen Strömung zum Geschwindigkeitsfeld

Maschinenbaustudent Matthias Lührmann hat in seiner Masterarbeit ein kostengünstiges Messsystem umgesetzt, mit dem es ermöglicht wird, eine experimentelle Strömung zu messen und auszuwerten. Der angehende Absolvent des Fachbereichs Ingenieurwissenschaften und Mathematik berichtet:

Ausgangspunkt meiner Arbeit stellt das Lid-Driven-Cavity (LDC) dar. Dieses wird in der Numerik vielfach als Testfall für verschiedene Löser genutzt, wie es häufig auch im Labor für numerische Strömungsmechanik von Prof. Martin Petry der Fall ist. Das LDC besteht in seiner einfachsten zweidimensionalen Form aus vier Wänden, wobei eine der Wände beweglich ausgeführt ist. Durch dessen konstante Bewegung wird ein Hauptwirbel im Zentrum der LDC-Zelle erzeugt sowie entgegengesetzte Wirbel in den unteren Ecken des Systems. Die Ausprägung der Wirbel hängt dabei stark von den Fluideigenschaften und der untersuchten Wandgeschwindigkeit ab. Letztendlich lassen sich auch ein Übergang zu einer turbulenten Strömung und viele weitere Phänomene anhand des LDCs untersuchen.

Für die Gewährleistung der Ergebnisqualität der Simulationen ist es angebracht, dessen Ergebnisse im Experiment zu verifizieren. Für eine solche experimentelle Untersuchung des LDC-Systems ist ein Versuchsstand in vergangenen studentischen Projekten im Labor für experimentelle Strömungsmechanik unter der Leitung von Prof. Tobias Böhm und Heinz Wilhelm Tiemann, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fachbereich IuM entwickelt worden. Dank ständiger Optimierung des Versuchsstandes, welche durch ein Vertiefungsprojekt, eine Bachelorarbeit und ein Masterprojekt erreicht werden konnte, gelang es diesen für visuelle Zwecke zu verwenden. Die bisher nur in Simulationen untersuchte Strömung konnte sichtbar gemacht werden. Der Versuchsstand besteht dabei aus einer würfelförmigen durchsichtigen LDC-Zelle, die in ein Aquarium eingelassen ist. Die bewegliche Wand ist durch einen Gummiriemen realisiert worden, der durch einen Schrittmotor und eine Beckhoff-Steuerung angetrieben wird. Dadurch lassen sich verschiedene Geschwindigkeiten programmieren und letztendlich untersuchen.

Das abschließende Ziel meiner Masterarbeit war es, ein kostengünstiges Particle Image Velocimetry (PIV) System zu entwickeln und am Versuchsstand zu testen. Eine PIV ermöglicht dabei die Ermittlung eines Geschwindigkeitsfeldes durch die Auswertung von Partikelbewegungen innerhalb einer Lichtebene im Fluid. Herkömmlicherweise wird dabei ein Hochleistungslaser sowie eine Hochgeschwindigkeitskamera verwendet. Aufgrund der Coronapandemie war es schwer Themen mit einem praktischen Bezug zu finden, da die Bearbeitung unter Umständen komplett zuhause erfolgen musste. Ich bin Herrn Prof. Böhm und Herrn Tiemann für mir entgegengebrachte Vertrauen sehr dankbar, denn sie gaben mir die Möglichkeit in meinem Büro selbstständig sämtliche Versuche und Optimierungen an dem Versuchstand auszuprobieren.

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Professionelle Systeme liegen preislich schnell über 100.000 €. Zudem ist eine Verwendung von Hochleistungslasern immer mit hohen Sicherheitsstandards verbunden, weshalb kein herkömmliches System verwendet werden sollte. Aus diesem Grund wurde zwar auf professionelle Kunststoffpartikel zurückgegriffen aber eine günstigere Beleuchtung der Lichtebene im Fluid entwickelt. Diese besteht aus vier LED-Modulen mit jeweils einer Linse, die schließlich die Lichtebene erzeugen. Für die Videoaufnahmen wurde auf eine vorhandene Kamera des Labors für experimentelle Strömungsmechanik zurückgegriffen, die Full-HD Aufnahmen mit 120 Bilder pro Sekunde aufzeichnen kann. Für die Auswertung wurde zudem PIVlab als open source PIV tool für Matlab verwendet. Damit zunächst eine nicht-turbulente (laminare) Strömung untersucht werden konnte, was als definiertes Ziel galt, wurde eine hochviskose 55-prozentige Zuckerlösung verwendet. Es war zu Beginn der pandemiebedingen Einschränkungen schon ein Abenteuer mit 13 kg Zucker an der Supermarktkasse zu stehen. Die Menge war nötig, damit ich die notwendigen 18 Liter für den Versuchsstand herstellen konnte. Die anschließenden Versuche erzielten schließlich qualitativ hochwertige Ergebnisse, sodass erfolgreich Geschwindigkeitsfelder der LDC-Strömung ermittelt werden konnten.

 

Strömungsmechanik Geschwindigkeitsfeld

 

Mit den ermittelten Daten ist im Vergleich zu einer von mir durchgeführten COMSOL Simulation eine hohe Übereinstimmung zu erkennen. Die leichten Unterschiede gilt es nun in folgenden studentischen Arbeiten in Zusammenarbeit mit dem Labor für numerische Strömungsmechanik zu untersuchen und das Messsystem sowie den Versuchsstand weiter zu optimieren. Letztendlich war es für alle Beteiligten eine positive Überraschung zu sehen, wie gut das System bereits funktioniert. Daher stellt meine Arbeit einen Ausgangspunkt für weitere Verbesserungen dar. Ich bin gespannt, was ich in Zukunft noch von weiteren Projekten mitbekommen werde.

Text: Matthias Lührmann

Simulation PIV Auswertung

Simulation

Versuchsauswertung

 

Studierende mit Interesse für Strömungsmechanik, ob in der Simulation oder bei der praktischen Arbeit an Versuchsständen, sind Prof. Böhm und Prof. Petry immer willkommen.