03.04.2012

„Einfach mal querdenken“ mit Dr. Angela Merkel

Drei Gesprächspartner der FH Bielefeld Teil des Zukunfts-Dialogs mit der Bundeskanzlerin.

Bielefeld (fhb). "Sprechstunde mit Frau Dr. Merkel", stand anderntags in fetten Lettern auf der ersten Lokalseite einer großen Bielefelder Tageszeitung gedruckt, Nr. 76, Donnerstag, 28. März. Darunter ein Foto, ganze sechs Spalten breit, auf dem Kanzlerin Angela Merkel mittig postiert ist und - ganz links auf halber Höhe - Sabine Demoliner Beifall klatscht und vorne rechts Prof. Dr. Andreas Beaugrand den Kopf wendet und das Gespräch für den Moment mit dem Nachbarn sucht.

Demoliner und Beaugrand vertraten mehr oder weniger offiziell die Fachhochschule Bielefeld, sie als 1. stellvertretende Vorsitzende des wissenschaftlichen Personalrats, er als Mitglied der Hochschulleitung. Dritte im FH-Bunde war Dr. Anke Rattenholl, die im Labor für Apparative Biotechnologie arbeitet und von ihrem Chef, Prof. Dr. Frank Gudermann, in seiner Funktion als Vorsitzender von Bio-OWL e. V. vorgeschlagen worden war für dieses Bielefelder Bürgergespräch. Die Kanzlerin hatte geladen, um zuzuhören und Ideen für ihren "Zukunftsdialog" mitzunehmen. Die dritte Veranstaltung unter diesem Motto, nachdem zuvor in Erfurt und Heidelberg munter Meinungen ausgetauscht wurden.

Insgesamt 100 Teilnehmer waren ausgewählt worden, um im Kleinen Saal der Stadthalle mitzudiskutieren. Letztlich kamen 36 zu Wort. Bis zum 15. April wird eifrig gesammelt. Mit 1.000 Vorschlägen im Internet hatte das Bundeskanzleramt gerechnet, doch schon jetzt stehen über 25.000 Ideeneingaben zu Buche. Das große Thema in Bielefeld: Wovon wollen wir leben? Die Diskussionsfelder: Wohlstand, Innovation und Arbeit. Der Ansatz: "Einfach mal querdenken, auch Sachen sagen, von denen man meint, dass sie momentan nicht gehen", so Sabine Demoliner. Ihr Wortbeitrag: "Über 80 Prozent meiner Kolleginnen und Kollegen haben befristete Verträge. Da kann niemand seine Zukunft planen". Kanzlerin Merkel: "Wir nehmen das auf. Nichts geht verloren." Eine Antwort, die nicht als bloße Retourkutsche verstanden wurde, sondern als Hinweis, dass man sich ernsthaft kümmern werde, so die gemeinsame Einschätzung von Sabine Demoliner und Anke Rattenholl.

Überhaupt sei der 'Zukunftsdialog' kein wahltaktisches Manöver, sondern offener Diskurs, fernab der Parteipolitik. Moderiert von einer Kanzlerin, die stets aufmerksam zuhörte, sich vergewisserte, nachfragte, zusammenfasste. Demoliner: "Ich hatte den Eindruck, wir hätten uns danach in einer Reihe aufstellen können, und Frau Merkel hätte gesagt: Sie haben das gesagt, sie das. Sie war total auf Empfang gepolt. Mir hat das gefallen, wie sie mit den Leuten umgegangen ist."

Für die Diskutanten ein Erlebnis, das nachhaltig in den Köpfen hängen bleibt. Die eigentliche Veranstaltung begann um 18 Uhr. Doch zu dem Zeitpunkt waren die Ausgewählten schon einige Zeit zusammen. Gegen 11:30 Uhr hieß es seinen Personalausweis vorzeigen, dann durch den Sicherheitscheck, Aufteilung der 100 in drei Gruppen, Namensschilder angeheftet. Begrüßung durch einen Moderator, der schon eine Woche zuvor jeden Diskutanten angerufen hatte: Was machen sie an der FH, was bewegt sie so? Im Anschluss stellte sich jeder in seiner Gruppe vor: Alter, was ich tue, was mich bewegt. Sabine Demoliner: "Das war unheimlich vielseitig und interessant, auch andere Alltagserfahrungen mitzubekommen." Was zudem stimmte: der Altersmix vom 17-Jährigen bis zum Senior Mitte siebzig.

Anke Rattenholl nahm dies mit: "Der Bürgerdialog war auch deshalb wichtig, weil  die Experten teilweise in ihrem Elfenbeinturm sitzen und zu Lösungsvorschlägen kommen, die an den Bedürfnissen der Bürger vorbeigehen." Etwa dann, wenn es um das Thema Nachhaltigkeit geht und der vermeintliche Experte vorschlägt, dass jeder Ökostrom nutzen und zahlen soll, also auch die arbeitslose Mutter mit ihren drei minderjährigen Kindern. Demoliner: "Das ist nicht konsequent zu Ende gedacht."

Angela Merkel zeigt Betroffenheit, als sie die Geschichte einer 25-Jährigen hörte, die mit 15 erkrankte und jetzt durch alle Vermittlungs-Raster der Arbeitsagentur fällt. "Bitte werfen sie ihre Notizen in die Box, wir werden uns das genau ansehen", so die Kanzlerin.

Biotechnologin Rattenholl hat der Kanzlerin aufgeschrieben, was sie bewegt, "das hatte nur zum Teil mit Biotechnologie zu tun, aber auch mit den Themen Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Leben im ländlichen Raum und Energiewende". Den langen Zettel hat sie in die Ideenbox eingeworfen: "Die haben gesagt, es gibt auf jeden Fall eine Rückmeldung."

Ihren Gästen gab die Kanzlerin Anschauungsunterricht in Sachen Diplomatie und Durchhaltevermögen. "Da sehen sie mal, wie das ist in der Politik. Da kriegt man die ganz extreme Meinungen gesagt und muss vermitteln", so Merkel.

Um 20 Uhr machte sie sich auf mit dem Hubschrauber Richtung Berlin. Sabine Demoliner: "Ich habe um halb elf im Bett gelegen und war richtig fertig. Frau Merkel noch lange nicht." Anke Rattenholl: "Sie braucht wohl nicht viel Schlaf. Man hatte den Eindruck, dass sie das gerne macht."

Erkenntnis einer unvergesslichen Sprechstunde mit Frau Dr. Merkel: Wann hat man schon mal die Gelegenheit, so nah ranzukommen? Und gehört zu werden.

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