25.07.2008

Auf die Gene kommt es an

Wenn Sojabohnen Brustkrebs befördern: „Deutsches Zentrum für Public Health Genomis“ geht neue Wege in der Krankheitsfrüherkennung / Bielefelder Wissenschaftler koordinieren Europa-Netzwerk Bundesweit einzigartige Institution an der Fachhochschule Bielefeld will genombasiertes Wissen in die Gesundheitsversorgung integrieren.

Sojabohnen liefern hochwertiges Eiweiß und Mineralstoffe. Vielen gilt die Hülsenfrucht deshalb als besonders gesundes Nahrungsmittel. Krebsvorbeugend ist nur eines von vielen Attributen, das ihr häufig bescheinigt wird. Eine Ansicht, die Professorin Angela Brand nicht teilt. "Soja kann bei Frauen mit entsprechender Veranlagung eine Brustkrebs-Erkrankung im Anfangsstadium auslösen. Die Krebsforschung fand heraus: Schon kleinste Mengen wie ein Glas Sojamilch können ausreichen, um ein schlafendes Karzinom zu wecken", sagt die Professorin für Sozialmedizin am Fachbereich Sozialwesen der Fachhochschule Bielefeld und Leiterin des "Deutschen Zentrums für Public Health Genomics" (DZPHG) in Bielefeld. "Genetische Tests können helfen, verbesserte Vorhersagen über das individuelle Erkrankungsrisiko zu machen."

Das DZPHG wurde im Herbst 2006 an der Fachhochschule Bielefeld gegründet. Die deutschlandweit einmalige Institution hat es sich zum Ziel gesetzt, genombasiertes Wissen in die Gesundheitsversorgung zu integrieren. "Public Health Genomics ist in Europa ein noch kaum etabliertes Gebiet. International durchläuft es allerdings eine rasante Entwicklung", weiß Professorin Dr. Angela Brand. "Public Health Genomics ist keine Grundlagenforschung im Bereich der Genomik, sondern analysiert die Rolle genetischer Varianten bei Krankheit und Gesundheit. Und es untersucht insbesondere auch den ethischen, rechtlichen und sozialen Kontext." Die sich daraus ergebenden Fragestellungen versucht die Expertin für Öffentliches Gesundheitswesen unter anderem als Mitglied des Committee on Genetic Testing in der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zu lösen.

Gene spielen entscheidende Rolle

Früher war es einfach: Am Herzinfarkt des Mannes war der Stress Schuld, an dem Alterdiabetes der Mutter zu viel Süßes. "Heute wissen Forscher, dass bei der Entstehung von Krebs, Asthma oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen genetische Varianten eine entscheidende Rolle spielen", erklärt Professorin Angela Brand. "Ein Großteil der Krankheiten wird durch mehrere Gene gleichzeitig verursacht und kann in Verbindung mit Umweltfaktoren und individuellen Lebensgewohnheiten ausgelöst werden." Wissenschaftler aus Medizin und Biowissenschaften arbeiten deshalb immer stärker zusammen, um molekulare Grundlagen zu entschlüsseln, die bei Krankheiten eine Rolle spielen. Nach Ansicht der Public Health Forscherin fragen Mediziner oft zu flüchtig, wenn sie das Erkrankungsrisiko eines Patienten abzuschätzen versuchen. "Bei Brustkrebs muss das gesamte Umfeld genau betrachtet werden. Gab es zum Beispiel Fälle von Prostatakrebs und Schizophrenie in der Familie? Diese Erkrankungen, so zeigen Studien aus dem Bereich der Systembiologie, hängen nämlich genauso zusammen wie Lymphdrüsenkrebs und Asthma." Und noch mehr hat die Forschung herausgefunden: Es gibt genetische Varianten, die bei manchen Menschen das Risiko erhöhen, an mehreren Krankheiten parallel zu erkranken: "Diese Menschen tragen ein Mehrfachrisiko in sich."

Risiko- und Schutzfaktor zugleich
Bahnbrechend ist auch das Wissen, dass eine angeborene genetische Variante Risikofaktor und Schutzfaktor zugleich sein kann. So erhöht eine Veränderung von ACE, ein Enzym, das im Blut schwimmt und dort den Wasserhaushalt und den Blutdruck reguliert, das Schlaganfall-Risiko und vermindert gleichzeitig die Gefahr, an Alzheimer zu erkranken. "Dieses Wissen bedeutet auch für die Medikamentenentwicklung eine große Herausforderung", so die Bielefelder Professorin.

Das DZPHG ist neben Einrichtungen in Cambridge und in der Türkei die dritte Institution in Europa, die vornehmlich zu Fragen von Public Health Genomics arbeitet. Auf europäischer Ebene leitet das deutsche Zentrum das "Public Health Genomics European Network" (PHGEN). Dieses bündelt Aktivitäten auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene und unterhält enge Beziehungen zu führenden Forschungsinstitutionen und Organisationen wie der Weltgesundheitsorganisation (WHO) oder der OECD. Mitglieder des Netzwerks sind Wissenschaftler, Humangenetiker, Sozialwissenschaftler, Ethiker, Mediziner, Ökonomen, Rechtswissenschaftler und Epidemiologen sowie Vertreter nationaler und regionaler Gesundheitsbehörden aus allen EU-Mitgliedsstaaten.

Bielefelder Forschergruppe brachte Durchbruch
Professorin Angela Brand, die in Baltimore in den USA Public Health studierte, brachte das spannende Thema 1994 mit nach Deutschland. "Damals wurde ich ausgelacht und mir wurde signalisiert, dass ich das alles wohl nicht richtig verstanden hätte." Eine schwere Zeit für die heute 46-Jährige Professorin der Fachhochschule Bielefeld, die in Personalunion Sprecherin des PHGEN ist. "Ich war zehn Jahre zu früh dran. Dennoch war ich fest davon überzeugt, dass das Thema kommt."

Eine Forschergruppe am international renommierten Zentrum für interdisziplinäre Forschung (ZiF) der Universität Bielefeld schaffte 2003/2004 schließlich Akzeptanz für das Thema. Die Task Force "Public Health Genetics" hatte als erstes Forschungsprojekt in Deutschland die Möglichkeiten für den Aufbau und die Integration von genombasiertem Wissen in das deutsche Gesundheitswesen untersucht. Heute, sagt die ehemalige Kinderärztin, würden biologische, soziale und Umweltfaktoren bei der Gesundheitsvorsorge berücksichtigt, die Genetik aber, das Wissen um genetische Varianten und Zusammenhänge, noch immer nicht. "Nehmen wir das Beispiel Masern: Um Epidemien zu verhindern, ist eine hohe Durchimpfungsrate bei Kindern nötig. Aber es gibt einen Prozentsatz - der etwa bei zehn liegt -, welcher ohnehin nicht anfällig ist und daher auch nicht als Überträger in Frage kommt. Für diese Gruppe hat die Impfung keinen Nutzen. Nicht individuell und auch nicht zwecks Ausrottung der Masern. Trotzdem ist es immer noch Standard, dass alle Kinder gleich behandelt werden."