06.08.2003

Professor Gerd Fleischmann verlässt nach 32 Jahren den Fachbereich Gestaltung

Nach 32 Jahren Lehrtätigkeit verlässt der Typograf in diesen Wochen den Fachbereich Gestaltung der Fachhochschule (FH) Bielefeld um etwas Neues anzufangen.

"Ich gehe nicht, weil ich hier nicht sein will. Ich gehe, weil ich etwas anderes tun will. Dies ist kein Abschied - wir können uns immer und überall wiedersehen." Die Aussage von Professor Gerd Fleischmann auf einem privaten Abschiedsfest an der Musik- und Kunstschule war pragmatisch, kurz und präzise. Mit einem Wort: ganz so, wie ihn seine Studierenden, Freunde und Weggefährten kennen. Nach 32 Jahren Lehrtätigkeit verlässt der Typograf in diesen Wochen den Fachbereich Gestaltung der Fachhochschule (FH) Bielefeld.

"Seine Sichtweisen waren und sind stilbildend"

In der Liga der Top-Typografen sei Gerd Fleischmann "ein unbequemer, kopfstarker Linksfuß, der quer denkt, aber gerade schießt", beschreibt Klaus Seelig vom Bielefelder Designbüro seinen ehemaligen Lehrer und fügt hinzu: "Seine Sichtweisen waren und sind stilbildend." Er habe die in Fachkreisen anerkannte "Bielefelder Schule" maßgeblich geprägt und unzähligen Grafik-Designerinnen und -Designern eine fundierte Aus- und Persönlichkeitsbildung mit auf den Weg gegeben.

Gerd Fleischmann kam über Umwege in die hiesige Region. 1939 in Nürnberg geboren, wuchs er ohne Vater auf, der 1941 als Arzt im Zweiten Weltkrieg gefallen war. 1946 holten die Großeltern den siebenjährigen Gerd zu sich nach Roth bei Nürnberg, "dort lernte ich, wie das Leben geht". Der Großvater, der nach dem Krieg einen Kolonialwarenladen eröffnete, wurde zum Vaterersatz. Von ihm lernte der Knabe zum Beispiel, wie man einen Garten anlegt. "Wäre ich nicht Typograf und Lehrmeister geworden, ich hätte Gärten gebaut", sagte Gerd Fleischmann später einmal.

Nach Abschluss der Volksschule und des Gymnasiums hätte der Abiturient Fleischmann gerne Architektur oder Kunst studiert: "Ich wollte formgebend arbeiten, etwas Sichtbares schaffen, auch Kunsterzieher zu werden, faszinierte mich." Auf Wunsch der Familie wurde jedoch eine pragmatische Entscheidung gefällt: ein Studium der Physik und Mathematik an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen versprach eine sichere Zukunft. Nach drei Semestern durfte er schließlich an die Akademie für bildende Künste in Nürnberg (Zeichnen) und dann zur Hochschule der Künste Berlin (Malerei bei Fred Thieler, Fotografie bei Herbert Hajek-Halke, Kunsterziehung und Werkerziehung) wechseln. Nach Beendigung des Lehramtsstudiums schloss Gerd Fleischmann an der Freien Universität Berlin noch kurzerhand sein Mathematik-Studium ab - bei Karl Peter Grotemeyer.

Es folgten vier Jahre im Schuldienst an Gymnasien in Berlin und nebenbei diverse freiberufliche gestalterische Tätigkeiten. Die Ideen des damaligen SPD-Bundeskanzlers und Reformers Willy Brandt lockten Gerd Fleischmann 1970/71 vorübergehend als wissenschaftlichen Mitarbeiter an das interfraktionelle Institut für Kommunikationsplanung in Bonn. Sein ehemaliger Lehrer Grotemeyer, inzwischen zum ersten Rektor der jungen Universität Bielefeld berufen, war ein Grund "für die Beendigung dieser Episode und die Besinnung auf die Dinge, die mir wirklich am Herzen lagen". Der 31-Jährige bewarb sich ebenfalls nach Ostwestfalen. Am 1. Juli 1971 begann er als Lehrender des Fachbereiches Design der neu gegründeten Fachhochschule Bielefeld - zunächst an der damaligen Werkkunstschule (heute Musik- und Kunstschule), später an der Lampingstraße - zu lehren: Visuelle Kommunikation/Grafik-Design mit Veranstaltungen zu den Themen Schrift/Typografie, Typografie/Layout, Gestaltungslehre, Sprache in der Visuellen Kommunikation und Gesetze der visuellen Wahrnehmung.

Gerd Fleischmann hatte seine Berufung gefunden. "In den späten 60-er, frühen 70-er Jahren gab es eine Aufbruchstimmung auch in der Hochschullandschaft", erinnert sich der heute 63-Jährige, "mir bot sich ein großartiges Feld, ich hatte eigentlich alle Freiheiten der Gestaltung. Nur durch die eigenen Unzulänglichkeiten, mangelnde Zeit und mangelnde Kraft, habe ich nicht alles geschafft, was ich wollte." Viel Energie steckte der engagierte Typograf 1988/89 in die Einführung von Computern am Fachbereich, gegen den Widerstand vieler Lehrender. Rückblickend war die Installation von Apple Macintosh und damit der Beginn der Gestaltung am Bildschirm visionär: Gerd Fleischmann erkannte früh die Bedeutung der kommenden, seiner Meinung nach nicht zu umgehenden Technologie. Gleichzeitig initiierte er einen Wettbewerb zur Prämierung der ersten am Computer gestalteten Arbeiten, den später das Fachmagazin Page aufnahm.

Viele Projekte, Veranstaltungen, Forschungsarbeiten und Ausstellungen innerhalb und außerhalb der Hochschule werden den Beteiligten in lebhafter Erinnerung bleiben: das Projekt Irish Country Posters / Plakate in der irischen Provinz, das Buch "bauhaus. drucksachen, typografie, reklame." (Edition Marzona, Düsseldorf), Gastvorlesungen in Irland, Kanada, Costa Rica, China oder Vietnam, die Gründung des Forums Typografie, die Aufarbeitung des typografischen Werks von Max Bill, das Orientierungssystem für den Sächsischen Landtag und nicht zuletzt die gerade beendete Ausstellung zu Ehren seines ehemaligen Kollegen Hans "Giovanni" Grohé.

32 Jahre lang hat Professor Gerd Fleischmann mit seiner unnachahmlichen, oftmals unbequemen Art (stets um der Sache willen), den Fachbereich Gestaltung und unzählige Absolventinnen und Absolventen geprägt. Er selbst sagt rückblickend: "Durch das Lehren lernt man am besten." Jetzt wird das so genannte Aquarium, der schmale Raum neben dem Arbeitsbereich der Typografie, von dem aus "Fl" jahrzehntelang wirkte, geräumt. Zu seiner Verabschiedung aus Bielefeld hatte eine Absolventengruppe noch zu einem Typogartenfest (siehe www.typogarten.de) an der ehemaligen Werkkunstschule eingeladen, zu dem rund 160 ehemalige Studierende, Freunde und Wegbegleiter, darunter auch sein erster Absolvent Uwe "Fitti" Hannemann, zusammen kamen. Nach Abnahme aller Diplom- und Fachprüfungen kehrt Gerd Fleischmann nun der Leineweberstadt den Rücken, um künftig mit seiner Frau Gisela in Ulrichshusen in Mecklenburg-Vorpommern einen neuen "Typogarten" zu gestalten.