11.11.2011

"Über jedes Tor, das Mesut Özil schießt, freuen wir uns in der Türkei genauso wie in Deutschland"

50. Jahrestag deutsch-türkisches Anwerbeabkommen. / Prof. Dr. Riza Öztürk diskutiert mit Angela Merkel und Recep Tayyip Erdogan.

Berlin (fhb). Ein Ereignis der besonderen Art mit bleibenden, positiven Erinnerungen: Prof. Dr. Riza Öztürk, agiler Wirtschaftsinformatiker der Fachhochschule (FH) Bielefeld und ebenso begeisterter Anhänger des Fußballsports, ist ein klein wenig stolz. Beide seiner Professionen brachten ihn in die prominente Gesprächsrunde, die sich anlässlich des 50. Jahrestages des deutsch-türkischen Anwerbeabkommens Mitte vergangener Woche im Berliner „Weltsaal“ des Auswärtigen Amtes zusammengefunden hatte. Genau: Bundeskanzlerin Angela Merkel und der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan waren mit dabei in der von ZEIT-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo moderierten Runde. Riza Öztürk: „Angenehme Atmosphäre, gut aufgelegte Politiker und eine große Resonanz über die Veranstaltung auch in den türkischen Medien.“     

Rückblick: Am 30. Oktober 1961 unterzeichneten Deutschland und die Türkei ein Anwerbeabkommen über die Vermittlung von Arbeitskräften in die Bundesrepublik. Die meisten so genannten "Gastarbeiter" sollten, so war es angedacht, nur vorübergehend bleiben – doch viele von ihnen holten ihre Familien nach und schlugen Wurzeln in der neuen Heimat. Heute leben mehr als 2,5 Millionen Menschen mit türkischen Wurzeln in Deutschland. Mit einem Festakt im Auswärtigen Amts wollte die Bundesregierung die Frauen und Männer würdigen, die den Aufschwung im Wirtschafswunderland Deutschland mit ihrer Arbeitskraft unterstützt haben.

In seinen Begrüßungsworten lobte Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich den Mut der ersten "Gastarbeiter": "Deutschland war Ihnen fremd, Sie sind ein Wagnis eingegangen. Wer seine Heimat freiwillig verlässt, hat viele Gründe, allen voran die existentielle und wirtschaftliche Not", so Friedrich vor rund 400 Gästen. Auch die Türkei habe von dem Abkommen wirtschaftlich profitiert. Im Zeitraum von 1961 bis zum Anwerberstopp 1973 sind knapp eine Million Türken nach Deutschland gekommen. Heute hätten die meisten Türkischstämmigen ihren festen Platz in der Gesellschaft gefunden - und das in allen Bereichen, heißt es in einer Mitteilung aus dem Bundespresseamt.   

"Wir sind zusammen", betonte Erdogan in deutscher Sprache. Deutschland sei für die Türken keine fremde Heimat mehr. "Über jedes Tor, das Mesut Özil schießt, freuen wir uns in der Türkei genauso wie in Deutschland", so der Ministerpräsident. Das Abkommen von 1961 sei ein Resultat der bereits geknüpften partnerschaftlichen Bande gewesen. Mit Blick auf die heutige Situation in Deutschland sagte Erdogan: "Wir unterstützen die Integration bedingungslos". Die Gesellschaft, die aufnimmt und integriert, müsse aber auch Angebote machen.

Professor Öztürk kann diese Einschätzung nachvollziehen. Und er hat den Integrationsauftrag zu einem seiner zentralen Tätigkeitsfelder erkoren, quasi direkt am „Puls der Gesellschaft“, nämlich da, wo das Miteinander – durchaus auch in Konkurrenz zueinander – stattfindet: das ist der Fußballsport, der Fußballplatz, wo die Erfolge, aber auch die Misserfolge gelebter Integration erfahrbar sind. Öztürk ist offizieller Integrationsbeauftragter beim Deutschen Fußballbund (DFB), er ist „Schiedsrichter aus Leidenschaft“ und er tritt gerne selber in seiner Freizeit gegen den Ball. „Sportskamerad Öztürk“, so die nette DFB-Umschreibung als „einer von uns“, lernt also regelmäßig die fußballerischen Freundschaften, aber auch die vorurteilsbehaftete Realität des „Mit denen geht das nicht“ und „Die sind anders drauf“ kennen, wenn sich türkische und deutsche Kreisligaspieler gegenüberstehen. Öztürk: „Je mehr wir voneinander wissen, desto besser ist das für das Gemeinwohl.“

Für den DFB hat er unter anderem mitgearbeitet an Video-Projekten, kleinen Spots, die vor der samstäglichen „Sportschau“ oder auf der DFB-Internetseite zu sehen sind: Grillparty im Garten, Menschen unterschiedlicher Herkunft bei Kartoffelsalat, Würstchen und Bier vereint, dann der Ruf in die Runde „Das Spiel fängt an“, alle sitzen vor dem Fernseher und siehe da, es sind die Eltern der Fußball-Nationalspieler, die gerade auflaufen, ein multikulturelles Team, das sich zusammengefunden und Erfolg hat. Öztürk: „Zu sehen, dass es klappt, macht schon Spaß.“ Und: „Der Sport ist in der Tat Integrationsmotor.“      

Er selber wurde in Istanbul geboren und war ein Jahr alt, als es seine Eltern nach Deutschland zog. Zweisprachig wuchs er auf, machte schnell Karriere und wurde Professor für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere mathematische und statistische Verfahren in der BWL und VWL. Natürlich keine „typische Integrationslaufbahn“, ober so außergewöhnlich nun auch wieder nicht.

Auf der Festveranstaltung in Berlin hatte Bundeskanzlerin Merkel den Einfluss der türkischstämmigen Gemeinschaft auf die deutsche Gesellschaft betont: "Die Gastarbeiter, ihre Familien und Nachkommen haben Deutschland mit geprägt". Sie bekräftigte die Anstrengungen, die die Bundesregierung im Bereich der Integration unternommen habe. Das Erlernen der deutschen Sprache bleibe Schlüsselaufgabe. Bei den vielen Beispielen gelungener Integration dürften nicht die Augen vor Missständen, vor allem im Bildungsbereich, verschlossen werden. "Zusammenleben ist immer ein Geben und Nehmen. Integration ist Gemeinschaftsleistung", so Merkel.

Beim Thema „doppelte Staatsbürgerschaft“, das bekanntlich recht kontrovers diskutiert wird, hatte der DFB-Integrationsbeauftragte Prof. Dr. Riza Öztürk seine ganz eigene Meinung, die Kanzlerin Angela Merkel ein Schmunzeln ins Gesicht lockte: „Als ich an der Fachhochschule Bielefeld die Professur übernommen hatte, war klar, dass ich meine türkische Staatsbürgerschaft abgeben musste. Da kannte das deutsche Beamtenrecht überhaupt keine Gnade.“          

Berlin war für ihn eine Reise wert. Und Ansporn, sich täglich weiter als Integrationsbeauftragter zu engagieren. Mesut Özil und all die anderen lassen freundlich grüßen.