16.12.2021

Die Suche des Menschen nach Unsterblichkeit: Das Tanzstück „Anima Obscura“ nutzt Tanzperformance und digitale Bildwelten

Die Videoszenographie für den multimedialen Tanzabend entwickelte Prof. Claudia Rohrmoser vom Fachbereich Gestaltung der FH Bielefeld.

Bielefeld (fhb). Auf einer schwach beleuchteten Theaterbühne bewegen sich Tänzer und Tänzerinnen mit fließenden Bewegungen zu sphärischer Musik über den schwarzen Tanzboden. Auf den Wänden rings um die Tänzer zeichnen 3D-Computersimulationen die Bewegungen der Darsteller und Darstellerinnen nach – oder ist es anders herum?

Das Tanztheater „Anima Obscura“, das von September bis Dezember im Bielefelder Stadttheater aufgeführt wurde, beschäftigt sich in multimedialen Darstellungen mit dem menschlichen Streben nach dem ewigen Leben. Das Konzept für die Animationen und die Videoszenographie stammt von Prof. Claudia Rohrmoser, Professorin für Motion Design am Fachbereich Gestaltung der Fachhochschule (FH) Bielefeld.

Sinnliche Körperlichkeiten und digitale Bildwelten

Ein Mann in einer Tanzbewegung. Im Hintergrund sind seine Bewegungen auf einer großen Leinwand nachgebildet

In der zweiten Ausgabe des Projekts „D3 – Dance Discovers Digital“ des Stadttheaters Bielefeld, das neueste Medientechnologien mit Tanz verbindet, erschufen Prof. Claudia Rohrmoser und die mehrfach ausgezeichnete Choreografin Nanine Linning gemeinsam mit weiteren Expertinnen und Experten ein Theatererlebnis zwischen intensiver Körperlichkeit und faszinierenden digitalen Bildwelten. Choreografie, Video-Performance, Animation und 3D-Computersimulation, aufwendige Kostümdesigns und Live-Harfenmusik verschmelzen zu einem opulenten Gesamtkunstwerk.

Wie kann aus der Verbindung von „realer“ Choreographie auf der Bühne und virtueller Animation auf der Leinwand ein harmonisches Ganzes entstehen? Prof. Claudia Rohrmoser: „Als Animatorin analysiere ich Bewegung und bringe sie durch Video und Animation wieder künstlich hervor. Die Tänzer und Tänzerinnen machen das zwar auf eine natürliche Art, vollführen aber einen ähnlichen Prozess: Sie setzen Ideen in Bewegung um und das führt sowohl in der Animation als auch im Tanz zu einer abstrakten Sprache. Diese Art, abstrakt zu erzählen, ist hier die gemeinsame Basis.“

Die Frage nach dem ewigen Leben

Kaum eine Frage hat die Menschheit in ihrer gesamten Geschichte so bewegt, wie die nach dem ewigen Leben. Vom Stein der Weisen in der Alchemie bis zur Optimierung unserer DNA beim Bio-Hacking steht die Frage im Raum: Was müssen wir verändern, damit wir unsterblich werden? So basieren die Motive von Anima Obscura alle auf der Idee des sich verändernden Materials. 

Das zentrale Element der Videobühne ist ein Lichttisch, auf dem die Tänzer und Tänzerinnen in einem alchemistisch anmutenden Ritual durch Manipulationen verschiedener Materialien wie Steine, Ton oder Eisenstaub in Echtzeit ein Video erzeugen. Die dabei entstehenden bewegten Texturen werden live abgefilmt und beeinflussen damit das Verhältnis von Tanz, Bühne und Video.

Innovative 3D-Simulationen treffen auf alte Theatertechniken

Der Aspekt der Metamorphose findet sich auch in den unterschiedlichen Animationstechniken wieder, die bei Anima Obscura zum Einsatz kommen: angefangen bei klassischem Zeichentrick über „Stop-Motion“-Techniken bis zu modernden 3D-Computersimulationen. Das Team griff auch auf ganz alte Theatertechniken zurück. Durch den knapp 100 Jahre alten Illusionstrick „Pepper’s Ghost“ erscheinen mithilfe von durchsichtigen Leinwänden „Geister“ mitten auf der Bühne.

Rohrmoser: „Als zukunftsweisende Idee verwenden wir prozedurale Computeranimationen und 3D-Simulationen. Das ist sozusagen die digitalste Stufe in dem ganzen Spektrum der verwendeten Animationstechniken.“ Denn: Bei den Simulationen erstellt kein Mensch die Animation Schritt für Schritt. Stattdessen berechnet ein Computer aufgrund von physikalischen Umgebungsparametern mögliche Bewegungen und lässt die virtuellen Tänzer und Tänzerinnen damit fast „alleine“ in einem schwerelosen Raum agieren.

Im Fokus steht dabei immer das Zusammenspiel zwischen den Akteuren und Akteurinnen auf der Bühne und den Darstellungen auf der Leinwand im Hintergrund. Digitale Videokunst und Tanz fügen sich bei ANIMA OBSCURA so zusammen, als würden sie schon immer zueinander gehören, heißt es im Pressetext zum Stück.

Studienrichtung „Digital Media and Experiment“ am Fachbereich Gestaltung

Claudia Rohrmoser und Nanine Linning im Gespräch

Prof. Claudia Rohrmoser ist seit 2019 Professorin für das Lehrgebiet Motion Design der Studienrichtung „Digital Media and Experiment“ am Fachbereich Gestaltung der FH Bielefeld. Das Studium vermittelt neben fundierten Gestaltungsgrundlagen ganz spezifische Fähigkeiten wie Bildgestaltung, Storytelling, 3D-Modeling, Animation Design oder Interaction Design für interaktive Umgebungen.

„Im Mittelpunkt steht dabei immer auch die Frage, wie Grenzüberschreitungen zwischen digitalen Gestaltungsdisziplinen und traditionelleren Medienformaten aussehen können“, erläutert Rohrmoser. Wie bereichernd die Zusammenarbeit für das Endergebnis sein kann, verdeutlicht Anima Obscura auf beeindruckende Art und Weise. (she)