03.05.2022

FH-Fotografie-Studentin arbeitet zu kultureller Identität und Zugehörigkeit

Ein Mann streckt sich nach oben und hält eine Hand in einen Lichtstrahl, der von der Decke fällt. Um ihn herum stehen Studierende des Projekts.
In unterschiedlichen Workshops des Netzwerkprojekts Cultures d'Avenir wurden die Studierenden dazu angeregt, einen neuen Blickwinkel einzunehmen. © E. Helal/FH Bielefeld
Im Hintergrund ist DJ Maguette Dieng an ihrem Mischpult zu erkennen, im Vordergrund tanzen zwei Studentinnen.
Während einer morgendlichen DJ-Session mit Musikproduzentin und DJ Maguette Dieng konnten die Studierenden ihre Müdigkeit abschütteln. © E. Helal/FH Bielefeld
Mehrere Studierende sitzen auf unterschiedlich hohen Tischen in einer Reihe und halten sich ein Stück Papier auf den Rücken, auf das sie Motive malen.
Wer kennt es noch aus Kindertagen? In einem Workshop in Barcelona mussten die Studierenden Bilder erraten, die ihnen auf den Rücken gemalt wurden. © E. Helal/FH Bielefeld
Nahaufnahme von Architektin Berta Gutiérrez.
Architektin Berta Gutiérrez führte die Studierenden durch Barcelona. © E. Helal/FH Bielefeld

Wie fühlt es sich an, als Kind von Eltern aufzuwachsen, die aus unterschiedlichen Ländern stammen? Welcher Kultur fühlt man sich zugehörig? Diese Fragen stellte sich Fotografie-Studentin Eman Helal im Rahmen des europäischen Netzwerkprojekts Cultures d’Avenir.

Bielefeld (fhb). Wer bin ich? Wo gehöre ich hin? Diese Fragen beschäftigen jede und jeden von uns – vor allem in Umbruchphasen, nach einer Trennung, während der Pubertät. Aber wie ist das eigentlich, wenn die Eltern aus unterschiedlichen Ländern kommen und die Muttersprache des Vaters eine andere ist als die eigene? Auf der Suche nach Antworten hat Eman Helal, Fotografie-Studentin am Fachbereich Gestaltung der Fachhochschule (FH) Bielefeld, gemeinsam mit zwei weiteren Studentinnen im europäischen Netzwerkprojekt Cultures d’Avenir einen Kurzfilm mit dem Namen „Between melodies“ produziert.

Die Frage nach Zugehörigkeit und der eigenen Identität

„Als ich bei unserem ersten Zusammentreffen in Paris mit der deutschen Studentin Badrieh ins Gespräch kam und sie mir erzählte, dass ihre Mutter Deutsche und ihr Vater Syrer ist, wusste ich sofort: Darüber möchte ich mehr erfahren“, erklärt Helal den Entstehungsprozess der Projektidee. Schließlich kam noch Carla aus Spanien dazu, deren Vater ursprünglich aus Argentinien stammt. Nach vielen Gesprächen über ihre Erfahrungen als Kinder aus „Mixed Marriages“ stand fest: Die drei Kreativen werden einen Kurzfilm drehen, in dem Badrieh ihren Vater zu den Themen Heimat, kulturelle Identität und Zugehörigkeit interviewt.

Zwischen zwei Kulturen – Das Gefühl „In between“

Ein Gruppenfoto von Eman, Bardieh und Carla.
Eman, Badrieh und Carla (v.l.n.r.) widmeten sich in ihrem Kurzfilm der Frage: Wie fühlt es sich an, wenn die Eltern verschiedenen Kulturen angehören?

„Badriehs Vater ist 69 Jahre alt und kam bereits vor 40 Jahren nach Deutschland“, berichtet Helal. „Damit lebt er mittlerweile länger hier als vorher in seinem Heimatland Syrien.“ Während des emotionalen Interviews zwischen Vater und Tochter klingen mehrere „Problemzonen“ an: Badrieh erzählt, wie sie früher in der Schule das Gefühl hatte, aufgrund ihres Aussehens die arabische Kultur repräsentieren zu müssen: Obwohl sie kaum Arabisch spricht und in Deutschland aufgewachsen ist, wurde sie von ihren Altersgenossinnen und -genossen immer wieder auf diesen Teil ihrer Identität „festgenagelt“, wenn nicht gar reduziert. Badrieh schildert das Gefühl des „In between“-Seins, das sich auch im Titel des Projekts widerspiegelt: „Immer, wenn ich in Syrien war, war ich das deutsche Mädchen. Und immer, wenn ich hier bin, bin ich das exotische Mädchen.“

Badrieh entwickelt ihre Identität irgendwo zwischen den Kulturen. Die Folge: Entfremdung und ein Gefühl der mangelnden Zugehörigkeit lauert stetig unter der Oberfläche des Alltags und verunsichert erst das Mädchen und später die junge Frau. Das reicht hinein bis in die Familie: Im Interview richtet Badrieh die Frage an ihren Vater, ob die beiden anders miteinander kommunizieren würden, wenn sie mehr auf Arabisch sprechen könnten. Ob sie dann vielleicht mehr miteinander reden würden und sich näher wären? Der Vater entgegnet: „Sicher.“

Erinnerungen zu verlieren, schmerzt

Der Film endet mit der Frage, welchem Land Badrieh sich zugehörig fühlt. Ihre Antwort: „Für mich fühlt es sich fast gleichwertig an, aber eigentlich weiß ich, dass es gar nicht stimmt. Ich meine, ich war seit über zehn Jahren nicht mehr in Syrien.“ Sie berichtet von den Gefühlen, die das Vergessen mit sich bringt und gleichzeitig von der Verwunderung, dass die jährlichen Syrien-Besuche während ihrer Kindheit ihre Identität so sehr geprägt haben. Es schmerzt, Erinnerungen an das Land und die Kultur und damit einen Teil von sich selbst zu verlieren oder zumindest einzusehen, dass dieser „syrische“ Teil des Ichs fast gar nicht mehr existiert. Schließlich richtet sie die suggestive Frage an ihren Vater: „Wenn es für mich schon so schmerzhaft ist, wie muss es dann für dich sein?“

Projekt soll Gefühle einfangen und für das Thema sensibilisieren

Helal betont, dass der Film keine fertigen Antworten liefert, wie mit einer solchen Situation umzugehen ist. Die Arbeit ist erst der Anfang: „Wir haben versucht, das Gefühl einzufangen, das viele Kinder aus Mixed Marriages empfinden. Das Gefühl der Zerrissenheit, der Zugehörigkeit zu beiden Ländern und gleichzeitig zu keinem. Das Gefühl, die Erwartungen anderer nicht bedienen zu können. Es ist ein wirklich komplexes Thema, bei dem viele verschiedene Aspekte eine Rolle spielen.“

Helal selbst kommt ursprünglich aus Ägypten und ist 2019 nach Deutschland gezogen. Hier studiert sie nun im Master Fotografie am Fachbereich Gestaltung der FH Bielefeld. Durch die Vermittlung von Prof. Katharina Bosse konnte sie am Netzwerkprojekt Cultures d’Avenir teilnehmen: „Es war toll, so viele neue Leute kennenzulernen. Es war unglaublich bereichernd, sich mit Carla und Badrieh wöchentlich über unser Thema auszutauschen.“

Neben den einzelnen Projektarbeiten wurden im Rahmen des Netzwerkprojekts auch Workshops angeboten, um den Studierenden aus Spanien, Frankreich und Deutschland ein möglichst abwechslungsreiches Programm zu bieten. So gab es beispielsweise eine Stadtführung durch Barcelona mit Architektin Berta Gutiérrez sowie eine morgendliche DJ-Session mit Musikproduzentin und DJ Maguette Dieng. Die Ergebnispräsentation der Kreativprojekte fand im März in Barcelona statt. Zuvor hatten sich die Studierenden im November 2021 in Paris kennengelernt und sich erneut im Januar zu einem virtuellen Workshop des Haus der Kulturen der Welt getroffen. (nhe)

Cultures d’Avenir

Das Pilotprojekt Cultures d’Avenir wurde vom Deutsch-Französischen Jugendwerk (DFJW) initiiert. Zu den weiteren Gründungsmitgliedern gehören das Centre Pompidou in Paris, das Haus der Kulturen der Welt (HKW) in Berlin, sowie das Centre de Cultura Contemprània de Barcelona (CCCB). Die Institutionen wurden bei der Auswahl der Studierenden durch die Hochschullandschaft der teilnehmenden Länder unterstützt. Das Projekt Cultures d’Avenir widmet sich vier großen Herausforderungen unserer Zeit: Diskriminierung, zu dem auch der Film Helals zu zählen ist, Parität und Geschlecht, Klimanotstand sowie Wissenstransfer und Inklusion.

Der in diesem Beitrag erwähnte Film war gleichsam die Empirie der Arbeit. Die Beteiligten haben sich aufgrund des sehr persönlichen Charakters des Tochter-Vater-Gesprächs dafür entschieden, den Film nicht zu veröffentlichen.