24.02.2021

Ingenieurinnen und Ingenieuren mit Fluchthintergrund eine Karriere in Deutschland ermöglichen

FH Bielefeld und TH OWL verbessern mit dem Projekt QualifyING die Berufschancen für Ingenieurinnen und Ingenieure.

Viele Akademikerinnen und Akademiker müssen nach ihrer Flucht in Deutschland bei Null anfangen, weil potenzielle Arbeitgeber nicht genau wissen, wie sie den Studienabschluss aus dem Ausland bewerten sollen. Die Fachhochschule (FH) Bielefeld und die TH OWL verbessern mit dem Projekt QualifyING die Berufschancen für Ingenieurinnen und Ingenieure. Gestern haben beide Hochschulen 22 Ingenieurinnen und Ingenieure zur Auftaktveranstaltung begrüßt.

Arteen Kevo hat ein Ziel: Er möchte als Bauingenieur arbeiten. In Syrien hat er bereits fünf Jahre Bauingenieurwesen studiert und seinen Abschluss gemacht. Im Jahr 2015 ist er nach Deutschland geflohen und musste feststellen, dass sein Abschluss hier auf dem Papier wenig wert ist. „Ich habe keine Stelle gefunden, auch kein Praktikum, obwohl ich schon Berufserfahrung hatte. Und dabei hatte ich Glück, ein Freund hat mir meine Zeugnisse von der Universität in Rakka besorgt, die hatte ich auf der Flucht nicht mitnehmen können, viele Landsleute haben nichts in der Hand.“

Wie ihm geht es trotz Fachkräftemangel vielen Akademikerinnen und Akademikern, die nach Deutschland geflohen sind. „An diesem Punkt setzt das Pilotprojekt QualifyING an“, erklärt Benjamin Hans. Er ist an der TH OWL für die Koordination von Projekten für Geflüchtete zuständig. „Wir möchten mit diesem Projekt dazu beitragen, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in dem Beruf arbeiten, für den sie ausgebildet sind und gleichzeitig Unternehmen mit hochqualifizierten Menschen zusammenbringen, die sie dringend brauchen.“

In den Studiengängen Bauingenieurwesen an der TH OWL und Maschinenbau an der FH Bielefeld erwerben die Teilnehmer in einem einjährigen Programm aus Lehrveranstaltungen, Sprachkursen, Workshops und Praxisphasen ein Zertifikat, welches ihnen bescheinigt, dass ihr Abschluss vergleichbar mit dem deutschen Ingenieurtitel ist. „Da geht es um sehr konkrete Dinge, wie zum Beispiel das deutsche Baurecht oder DIN-Nomen aber auch um Soft-Skills wie Zeitmanagement, Projektmanagement und Präsentationen“, erklärt Arteen Kevo.

Die beiden Hochschulen kooperieren in dem Projekt mit Unternehmen aus der Region

Sandra Schoeß, Koordinatorin für Flüchtlingsprogramme an der FH Bielefeld: „Die Teilnehmenden arbeiten im Rahmen unseres Programms für zwölf Wochen in den Kooperationsunternehmen und können dort ihr fachliches Können unter Beweis stellen und lernen potenzielle Arbeitgeber kennen, davon profitieren beide Seiten. Im besten Fall folgt auf die erfolgreiche Teilnahme im Projekt eine Anstellung in einem Unternehmen.“

Auch das europaweit tätige Bau- und Immobilienunternehmen GOLDBECK kann sich vorstellen, das Projekt zu unterstützen. Ricky Bochmann, Projektleiter bei GOLDBECK International: „Wir realisieren komplexe Bauprojekte in ganz Europa und haben deshalb ein hohes Interesse an qualifizierten Ingenieurinnen und Ingenieuren, die mehrsprachig ausgebildet sind. Durch das Projekt können wir junge und talentierte Menschen unterstützen und bekommen gleichzeitig die Chance, sie als Mitarbeitende für das Unternehmen zu gewinnen.“

Die FH Bielefeld und die TH OWL übernehmen die Koordination, die Wissensvermittlung und die enge Begleitung der Teilnehmenden des Weiterbildungsprogramms. Die Unternehmen vermitteln in einem dreimonatigen Praktikum den Graduierten mit Fluchthintergrund die praktischen Anforderungen im Beruf.

Das Programm ist in drei Phasen gegliedert: In der ersten Phase von März bis Juni besuchen die Teilnehmenden Workshops zur Fachsprache und Berufsvorbereitung und belegen in der Vorlesungszeit ausgewählte Kurse ihres Studienfachs, die für die deutsche Ingenieursbildung zentral sind. Von Juli bis September schließt sich die begleitete Praxisphase in den kooperierenden Unternehmen an. In den letzten vier Monaten des Programms vertiefen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ihr fachliches Wissen in Seminaren und Vorlesungen und besuchen parallel das Unternehmen. Am Schluss des einjährigen Programms steht eine Abschlussarbeit.

Als Arteen Kevo nach Deutschland gekommen ist, gab es das Projekt noch nicht. Er hat inzwischen einen Masterstudiengang für Nachhaltiges Bauen erfolgreich absolviert und arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter für das Projekt QualifyING, um junge Akademikerinnen und Akademiker, die in einer ähnlichen Situation sind wie er, beim Start in Deutschland zu unterstützen.

Text: TH OWL