13.07.2017

Lehrfabrik auf dem Campus Minden wächst weiter

Studierende, Lehrende und Laboringenieure integrieren die Arbeitswelt gemeinsam in den Studienalltag

Der Campus Minden der Fachhochschule (FH) Bielefeld wächst weiter und mit ihm auch die eigene „Lehrfabrik“, die im vergangenen Jahr erstmals in der Lehre eingesetzt wurde, um den Arbeitsalltag in einem produzierenden Unternehmen abbilden zu können.

Im vergangenen Jahr hatten die Studierenden die Fabrikinfrastruktur und Arbeitsprozesse zur Herstellung eines Flaschenöffners aus Stahl detailliert beschrieben und den Öffner selbst produziert. Mittlerweile wurde die Lehrfabrik deutlich ausgebaut. 38 Studierende nutzten im laufenden Sommersemester die Lehrfabrik, um in verschiedenen Teilprojekten die Praxis zu simulieren und Ergebnisse zu produzieren. Sie studieren allesamt im 6. Semester die praxisintegrierten Studiengänge Maschinenbau, Wirtschaftsingenieurwesen und Elektrotechnik. Prof. Dr. rer. pol. Christoph von Uthmann, zuständig für das Lehrgebiet ‚Industriebetriebslehre‘ und einer der die Lehrfabrik betreuenden Professoren: „Drei ‚Projekte Angewandte Wissenschaft‘ sind entstanden mit sehr aktiven und auch kenntnisreichen Studierenden. Hier wurde mit großem Eifer gearbeitet. Die Ergebnisse können sich sehen lassen.“ Was ihn auch stolz macht: Die Lehrfabrik ist in dieser Form wohl einzigartig. Es wird interdisziplinär zusammengearbeitet, es wird angepackt.

Zum Beispiel im Teilprojekt „Arbeitssicherheitssystem“, „ein absolut essentielles Thema im produzierenden Unternehmen“, so der Maschinenhallen-Verantwortliche Prof. Dr.-Ing. Daniel Paßmann. Zwei Studenten mit Praxiserfahrung auf diesem Gebiet nahmen die Herausforderung an. Sie erstellten aus dem äußerst komplexen Referenz-Rahmen „AGUM“ ein speziell für die Lehrfabrik praktikables Arbeitssicherheitssystem, unter anderem mit Handbuch, Steuerungstool und Selbstauditplan.

Zudem wurde die Lehrfabrik stark ausgebaut, indem neue Werkzeuge und Prüfgeräte angeschafft wurden, inklusive einer modernen, leistungsfähigen Computer Aided Manufacturing-Software (CAM), die in der Lage ist, aus Konstruktionsdaten im Computer Aided Design-System (CAD) auch sehr komplexe Programme für die Steuerung der Maschinen effizient zu generieren. Mit dieser so genannten CAD-CAM-Schiene „wurde ein zentraler Baustein für einen durchgängigen digitalen Produkt-Entstehungs-Prozess realisiert“, so Prof. Dr.-Ing. Vanessa Uhlig-Andrae, Leiterin des Studiengangs Maschinenbau.

Um eine ältere Drehmaschine in die ‚Digitale Fabrik‘ zu integrieren, stieg ein Maschinenbau-Elektrotechnik-Team mit entsprechenden Vorkenntnissen besonders tief in die IT ein. Ihnen gelang das Kunststück, die noch DOS-basierte Maschinenprogrammierungs- und Simulationsoftware auf einem modernen Windows10-Rechner zum Laufen zu bringen und das neue CAM-System für die Drehmaschine nutzbar zu machen. „Damit steigen Bedienungskomfort und Einsatzpotential der Drehmaschine enorm“, zeigte sich der erfahrene Laboringenieur Hubertus Lübbesmeier begeistert. Er ergänzt: „Zudem haben wir jetzt eine clevere, sehr kostengünstige Lösung, die für den Standort Bielefeld und viele Industrieunternehmen mit ähnlichen Problemen interessant sein dürfte.“

Auch ein anderes Teilprojekt trug wesentlich zum Ausbau der Infrastruktur bei: Durch die Schaffung einer Universal-Spannvorrichtung für unterschiedliche Rundformen wurden die Fertigungsmöglichkeiten der Lehrfabrik deutlich erhöht. Hierzu durchlief ein Team von vier Studierenden mit Ideenfindung, Konzeption, Konstruktion, NC-Programmierung mit dem neuen CAM-System, Fertigung und Qualitätssicherung systematisch den gesamten Produkt-Entstehungs-Prozess. „Dabei wurde mit Bordmitteln eine bessere Lösung geschaffen als sie am Markt verfügbar war“, lobt Professor von Uthmann.

Im Projekt „Von der Idee zum Kunststofftiefziehteil“ wurde von weiteren 15 Studierenden ein äußerst anspruchsvolles Endprodukt erstellt. Die Nachwuchsingenieure haben eine kleine Tiefziehmaschine entwickelt und gebaut, mit der sich Studieninteressierte zum Beispiel auf Messen selbst individuelle Kunststoff-Formen für Eiswürfel schnell herstellen können. Prof. Dr.-Ing. Andreas Tenzler und Prof. Dr.-Ing. Vanessa Uhlig-Andrae leiteten dieses Projekt, aus dem neben der Tiefziehmaschine auch eine Vielzahl unterschiedlicher Formen zum Tiefziehen hervorging. Die im CAD-System modellierten Formen wurden zum einen mit dem Lehrfabrik-eigenen 3D-Drucker gedruckt. Zum anderen wurden Formen auf dem Bearbeitungszentrum gefräst, die erforderlichen NC-Programme für die Steuerung der Maschinenbearbeitung wurden mit dem CAD-CAM-System erstellt.

Neben den Lerneffekten und dem wertvollen Beitrag zum Fabrikausbau wurde auch eine demnächst eingesetzte Messestand-Komponente geschaffen. „Damit können Maschinenbau und Fabrikbetrieb begreifbar gemacht und so attraktiv dargeboten werden“, erläutert Professorin Uhlig-Andrae.

Mit Hilfe einer automatisierten Kunststoff-Spritzgieß-Maschine und dem Prüflabor wurde von 15 Studierenden zudem in weiteren Teilprojekten der Qualitätssicherungsbereich der Lehrfabrik voll in Betrieb genommen. Dabei ging es um die Identifikation und Optimierung typischer Fertigungsfehlerfehler bei der Herstellung von Kunststoffbauteilen. Hierfür wurden geeignete Fehlerszenarien entwickelt, diese im Spritzgießprozess reproduzierbar erzeugt, gemäß entwickelter Prüfpläne erkannt und nach industriellen Qualitätssicherungsmaßstäben dokumentiert. In diesem Rahmen wurden von den Studierenden auch die neuen Prüfgeräte in Betrieb genommen und mit Verfahrensanweisungen sowie Versuchsprotokollen unterlegt. Professor Paßmann: „Das ist eine signifikante Weiterentwicklung des Prüflabors, die auch die Lehre voranbringen wird.“

Die vier Professoren sind mit der Fortentwicklung ihrer Lehrfabrik zwar grundsätzlich zufrieden, dennoch streben sie in den nächsten Jahren einen stetigen technologischen Ausbau an. Sie bedanken sich ausdrücklich bei den Laboringenieuren Dipl.-Ing. Florian Ernst, Dipl.-Ing. Hubertus Lübbesmeier und Dipl.-Ing. Jörg Meier-Pechstein, „ohne deren großes Engagement die Lehrfabrik Campus Minden nicht laufen könnte“, so Professor von Uthmann. Die Projektergebnisse werden jetzt weiterentwickelt, in die Lehre eingebunden, und es werden neue Projekte für das nächste Jahr geplant.

Die Lehrfabrik auf dem Campus Minden – eine kleine Erfolgsgeschichte mit einer großen Zahl von Mitarbeitenden. In dieser Form einmalig an Hochschulen - nicht nur in NRW.