28.05.2019

„Norwegen ist ein Land mit großer Änderungsbereitschaft...“

4. Veranstaltung der Reihe „Durch die Lupe betrachtet“ im MARTa Museum Herford thematisierte Norwegen

„Norwegen – ein faszinierendes Land setzt Maßstäbe für Europa“, hieß es in der Einladung zur mittlerweile vierten Veranstaltung der Reihe „Durch die Lupe betrachtet...“. Das internationale Format ist eines der Resultate aus der seit 2016 gelebten Kooperation zwischen dem Fachbereich Ingenieurwissenschaften und Mathematik (IuM), der Fachhochschule (FH) Bielefeld und dem Arbeitgeberverband (AGV) Herford. Insbesondere vor dem Hintergrund der Europawahl und den damit verbundenen Fragestellungen verwundert es nicht, dass am 23. Mai zahlreiche Interessierte der Einladung ins MARTa Herford gefolgt sind. Das Museum für Kunst, Architektur und Design sorgte mit seinem eindrucksvollen Forum für die passende räumliche Kulisse.

Die Gäste aus Hochschule und Unternehmen konnten den Diskussionen zur aktuellen Entwicklung Norwegens und der Deutsch-Norwegischen Beziehungen nicht nur folgen, sondern diese auch aktiv mitgestalten. Christoph von Marschall, Diplomatischer Korrespondent der Chefredaktion „Der Tagesspiegel“ und Tobias F. Svenningsen, Gesandter der Königlich Norwegischen Botschaft gestalteten den Auftakt mit ihrem Gespräch zu den Unterschieden und Gemeinsamkeiten beider Länder. Von Marschall, der gleichzeitig als Moderator fungierte, formulierte seine Eingangsfrage an den Gesandten Svenningsen: „Wie funktioniert das? Norwegen, ein Land das durch seine progressive und auf Zukunftstechnologien ausgerichtete Wirtschaftspolitik Maßstäbe für Europa setzt und dabei selbst kein Mitglied der EU ist? Wie genau gelingt dieser Spagat, was läuft anders – vielleicht besser – und könnte einiges davon auch ein beispielhafter Impuls für Deutschland sein?“

„Norwegen ist ein kleines Land. Es ist ein kurzer Weg von der Idee zur Umsetzung! Norwegen ist ein Land mit großer Änderungsbereitschaft. Man überlebt in der globalisierten Welt nur, wenn man sich anpasst, beziehungsweise zu Veränderungen bereit ist. Unser Motto lautet keinesfalls Norwegen zuerst! Wir sind offen, leben vom Export und Multilateralismus, das ist unsere Existenzgrundlage“, so Svenningsen, der seit einigen Jahren in Berlin lebt und damit den Vergleich zu Deutschland anstellen kann.

Mobilität, speziell E-Mobilität ist ein großes Thema im Fachbereich IuM und damit auch für den Dekan Prof. Dr. Lothar Budde, der als Vertreter der Hochschul- und Wissenschaftslandschaft auf dem Podium im MARTa saß. Er möchte von seinem norwegischen Gegenüber wissen: „Die aus Deutschland stammenden Elektroautos der Marke Golf und BMW sind in Norwegen die meistverkauften überhaupt. Haben Sie eine Erklärung für diesen Erfolg, insbesondere vor dem Hintergrund, dass wir hingegen gerade mal zwei Prozent zugelassene E-Autos verzeichnen können?“

„In Norwegen ist die Energiewende kein Thema. Seit 100 Jahren gewinnen und nutzen wir Energie aus Wasserkraft. Es gibt einen Überschuss an Energie, nicht nur deshalb sind die Norweger große Exporteure. Wir könnten ohne Probleme den gesamten Verkehrssektor elektrifizieren. Darüber hinaus macht die Tatsache, dass Norwegen keine eigene Autoindustrie hat, manches leichter. Wir bieten bei der Anschaffung eines Autos mit Elektromotor mitunter so immense Steuervorteile, dass mittlerweile jeder zweite ein E-Auto fährt.“, so Svenningsen.

Oliver Flaßkämper, Gründer der Priority AG, Aktionär und Vorstandsmitglied des AGV machte als vierter Podiumsteilnehmer die Runde komplett. Ihn interessierten vor allem die Gründe für die Zufriedenheit der norwegischen Bevölkerung. In dem aktuellen „World Happiness Report“ stünde Norwegen auf Platz 3, während Deutschland sich in Sachen Gesamtzufriedenheit auf Platz 17 befände.  „Liegt das Geheimnis unter anderem an dem weltgrößten Staatsfond und der damit verbundenen wirtschaftlichen Freiheit, sowie dem Verantwortungsgefühl des Staats gegenüber der Bevölkerung?“, möchte Flaßkämper wissen.

„Ich habe einige grundsätzliche Mentalitätsunterschiede ausmachen können. Ein Beispiel ist, dass die Natur Norwegens und deren Schätze allen gehören. Deshalb gehen auch 90 Prozent der Öl- und Gaseinnahmen in den norwegischen Staatsfond. Erwirbt man ein Stück Land, so gehört einem zwar das Land, aber nicht die Naturschätze, die es mit sich bringt. Kauft man ein Haus am See, können alle den Zugangssteg zum Wasser nutzen. All das führt zu Vertrauen in den Staat, das wiederum nimmt Zukunftsängste und führt vermutlich zu höherer Zufriedenheit.“, folgert Svenningsen. Darüber hinaus seien die Norweger weniger ängstlich. Sie zahlen bereitwillig höhere Steuern in der Überzeugung, dass sie etwas vom Staat zurückbekommen. Es würden viel mehr Daten miteinander geteilt. Das Gefühl eines Big-Brother Staates gibt es nicht. So könnte man bei Interesse auch einsehen, was der Nachbar verdient oder an Steuern abführt. „In Deutschland undenkbar“, so Svenningsen weiter. Auch aus diesem Grund sei der flächendeckende Einzug der Digitalisierung leicht gewesen. Die Bargeldquote läge mittlerweile bei unter 20 Prozent.

In der Abschlussrunde zeigte sich IuM-Dekan Prof. Budde begeistert von der Beweglichkeit und der Offenheit des Landes und schlug den Bogen zum Hochschulsystem. Das Interesse an Hochschulkooperationen mit Norwegen sei sehr groß. Zur Unterstützung hatte er Judith Peltz, Leiterin des International Offices an der FH Bielefeld und Expertin im Bereich des länderübergreifenden Austausches, zu einem Statement eingeladen: „Die FH Bielefeld pflegt bereits seit Jahrzehnten die Kooperation mit einer Hochschule an der Westküste Norwegens. Allerdings sind die von norwegischer Seite zur Verfügung gestellten Austauschplätze rar gesät und der Andrang der Studierenden groß. Norwegen nimmt am Erasmus Programm teil und damit sind auch die Bachelor- und Masterprogramme kompatibel. 60 Prozent der Studierenden sind weiblich. Mit Bewunderung schauen wir auch auf das Zentralregister aller norwegischen Hochschulen. Das Bewerbungsverfahren wird dadurch ungemein erleichtert. Darüber hinaus werden zahlreiche englischsprachige Studiengänge angeboten, ganz zur Begeisterung unserer Studierenden“, berichtete Peltz.

Diese Angaben fanden prompt Bestätigung aus dem Plenum: „Herr Svenningsen, wie sehen unsere Chancen auf dem norwegischen Arbeitsmarkt aus?“, möchten einige der im Publikum sitzenden Studierenden der FH Bielefeld wissen. „Deutsche Zuwanderer sind bei uns seit jeher gefragt und willkommen“, so die unmittelbare Antwort des Gesandten der norwegischen Botschaft. Diese positive Antwort nutzte Moderator und Podiumsteilnehmer von Marschall: „Unser für heute formuliertes Ziel war es Norwegen besser kennen und verstehen zu lernen...“, mit Blick auf ein bejahendes Publikum resultierte er: „...und das ist uns gelungen!“

Text: Tanja Hage