07.11.2022

Schlechter Geschmack – eine Frage der Perspektive: Studierende der FH Bielefeld entwerfen Plakate

Plakatgestaltung von Fabian Latka
Fabian Latka hat sich bei seinem Plakat am Begriff Kitsch abgearbeitet. Wenn man Kitsch als den Inbegriff des Unechten im Leben sieht, ist die Vermenschlichung des Automobils bestimmt ganz weit oben auf der Kitsch-Skala. © P. Pollmeier/FH Bielefeld
Plakatgestaltung von Vivien Schulte
Wie schnell aus „trendy“ „cheugy“ wird, zeigt Vivien Schulte mit ihrem Plakat. „Cheugy“ (gesprochen: tschugi) ist ein jugendsprachlicher Begriff, den Angehörige der Generation Z benutzen, um Millennials und jüngere Gen-Xer zu bezeichnen, die veralteten Trends anhängen. Dabei kann man auch ganz bewusst ein „Cheug“ sein, was wiederum gut ist. © P. Pollmeier/FH Bielefeld
Plakatgestaltung von Tom Herzog
Tom Herzog hatte den Mut, sich auf seinem Plakat selbst zu inszenieren. Dazu hat er sich mit allem beklebt, was Kinder so toll finden, Erwachsene aber eher belächeln. Was auf den ersten Blick kindisch wirkt, ist in Wirklichkeit bis ins kleinste Detail durchkomponiert und -arrangiert. Ein echtes Meisterwerk. © P. Pollmeier/FH Bielefeld
Plakatgestaltung von Simon Hoffmann
Wer kennt sie nicht, diese pseudo-tiefsinnigen Sprüche auf kitschigen Bildern, mit denen sich Menschen in den Sozialen Medien ihre Pinnwände, Timelines und Profilseiten zupflastern. Simon Hoffmann kritisiert diese verlogene Art der Internet-Nachdenklichkeit ganz in der Tradition des politischen Plakats. 2xGoldstein dazu: „Hier hat es lange gedauert, bis eine Form gefunden wurde, die ästhetisch funktioniert, aber nicht zu schön ist. Politische Plakate müssen hässlich sein, hat der niederländische Grafikdesigner Anthon Beeke gesagt.“ © P. Pollmeier/FH Bielefeld
Plakatmotive von Luis Seyffert und Paul Düstersiek
Die Plakate hängen in Bielefeld noch bis zum 21. November 2022 zwischen Feilenstraße und dem Kreisel vor dem neuen Bahnhofsviertel. © P. Pollmeier/FH Bielefeld

Neun aufsehenerregende Plakate von Gestaltungs-Studierenden der Fachhochschule Bielefeld mischen das Stadtbild auf. Motto: „Schlechter Geschmack“. Entstanden sind sie in einem Seminar des Grafikdesigner-Duos 2xGoldstein. Die Plakataktion ist gleichzeitig der Beitrag der FH zum diesjährigen art/science-Festival.

Bielefeld (fhb). Hehe. Da lacht der Grafikdesigner. Allein diese Schriftart… Die Comic Sans liegt nun wirklich schon sehr lange im Giftschrank der Typografie. Und dann der Satz an sich: „ICH WEIß GRAPHIK DESIGN.“ Falsches Deutsch, fehlerhafte Getrenntschreibung, „Grafik“ altmodisch mit „ph“ und ein „ß“, wo aus Gründen der Einheitlichkeit korrekterweise ein Doppel-S stehen müsste. Dazu noch diese abgegriffene Illustration im Stil von US-Comics der 50er-Jahre. An diesem Plakat – entworfen von Jonathan C. Mientus – ist wirklich alles schlecht gestaltet.

Ein heiß diskutiertes Thema: Was ist schlechter Geschmack?

Plakatgestaltung von Luis Seyffert
Luis Seyffert hat bei der Gestaltung seines Plakats von oben in einen Pool geblickt und dabei festgestellt, dass alles verschwimmt. Was guter und was schlechter Geschmack ist, liegt ganz im Auge des Betrachters, so seine Botschaft.

Oder ist es etwa so sehr missraten, dass es schon wieder richtig gut ist? Das fragen sich in diesen Tagen hoffentlich viele Bielefelderinnen und Bielefelder, die zwischen Feilenstraße und dem Kreisel vor dem neuen Bahnhofsviertel unterwegs sind. Denn dort hängen neun Plakatentwürfe von Studierenden der Fachhochschule (FH) Bielefeld, die auf ein heiß diskutiertes Thema zielen: Was ist schlechter Geschmack?

Die Aktion ist der Beitrag des FH-Fachbereichs Gestaltung zum diesjährigen art/science-Festival, das das Zentrum für Ästhetik der Universität Bielefeld seit 2004 ausrichtet. Vom 9. bis zum 16. November dreht sich spartenübergreifend alles um das Motto „Schlechter Geschmack“. Wissenschaftler*innen halten Vorträge über Bausünden, B-Movies und Kitsch. Es gibt Kabarett zum Thema, „nicht gekonnte Musik“, eine Fotoausstellung sowie eine „Bad Taste“-Party.

Mit dem „schlechten Geschmack“ kamen 2xGoldstein zurück nach Bielefeld

Die Plakate der Studierenden der FH Bielefeld wollen im Stadtbild auf das Festival aufmerksam machen, aber jedes einzelne spricht auch für sich selbst. Entstanden sind sie in einem Seminar, das das renommierte Grafikdesign-Duo 2xGoldstein am Fachbereich Gestaltung gegeben hat. Hinter dem Label stecken die Zwillingsbrüder Andrew und Jeffrey Goldstein aus Karlsruhe. An der FH Bielefeld kennt man die Unzertrennlichen noch gut: Von 2008 bis 2013 hatten sie hier einen Lehrauftrag, den sie hauptsächlich der Plakatgestaltung widmeten. Mit dem „schlechten Geschmack“ feierten sie nun ein Comeback in OWL.

Der lange gestalterische Weg von Paul Bourdieu zu Dieter Bohlen

Plakatgestaltung von Paul Düstersiek
Paul Düstersiek geht es wie den meisten Menschen, und die halten die Modemarke Camp David für absoluten „Bad Taste“. Aber wie drückt man das aus, ohne den ganzen Ü-40-Männern zu nahe zu treten, die diesen plumpen Macker-Stil richtig toll finden? Eine Frage der Montage…

„Das Thema stellte sich als nicht so einfach heraus, wie wir am Anfang dachten“, sagt Jeffrey Goldstein stellvertretend für 2xGoldstein. „Also haben wir eine längere theoretische Einführung gegeben.“ Maßgeblich dafür war die Kulturtheorie von Pierre Bourdieu, einem der einflussreichsten Soziologen des 20. Jahrhunderts. „An einem Schaubild haben wir erklärt, wie seine wichtigsten Begriffe zusammenhängen, etwa Kapital, Habitus, Distinktion und Position im sozialen Raum“, so Goldstein. „Geschmack ist in diesem Zusammenhang immer als Abgrenzung zu verstehen.“

Was so abstrakt klingt, haben die Studierenden mitunter umso konkreter in Bildwelten umgesetzt. Paul Düstersiek zeigt mit seinem Plakat „JUST DON’T“, wie Abgrenzung durch Mode funktioniert. Sein grausamer Zusammenschnitt von Kleidungsstücken der Marke Camp David ist ein Statement zu Ü-40-Männern, die freiwillig ihre Zugehörigkeit zum Dieter-Bohlen-Stil und der DSDS-Kultur bekennen. „Die Schwierigkeit hierbei ist, das so hinzubekommen, dass man niemanden diffamiert“, erklärt Goldstein. „Das ist Paul sehr gut gelungen.“

Ist das Kommerz, Trash, Kult oder Kitsch? Die Grenzen sind fließend

Schließlich ist man haltungsmäßig beim „schlechten Geschmack“ nie ganz auf der sicheren Seite. Er kann Kommerz werden, wie bei Camp David. Er kann Trash werden, wie die Filme von John Waters („Hairspray“). Er kann Kultfiguren wie Guildo Horn gebären, die Kunstwelt auf den Kopf stellen (Jeff Koons, Damien Hirst, John Bock) und sogar eine globale kulturelle Bewegung hervorbringen (Punk). Und immer sind die Grenzen fließend.

Manchmal ist es auch einfach nur Kitsch. Dann muss es dringend weg, wie Leonie Knapp findet. Die Studierende demonstriert auf ihrem Plakat am Beispiel einer Nippesfigur, wie das zu bewerkstelligen wäre: auf den Mond schießen, mit dem Hammer zertrümmern oder doch lieber verschenken? „Ihre Arbeit ‚11 Wege sich vom Schlechten Geschmack zu verabschieden‘ zeigt, dass man dieses Thema am besten humorvoll bewältigt“, sagt Jeffrey Goldstein. „Und zwar ohne dabei verletzend zu werden.“

Die Suche nach den richtigen Bildern wird zur Selbsterfahrung

Plakatgestaltung von Antonia Ancot
Alle Boomer und fast alle Generation-Xer hatten mal eine dieser 3D-Brillen auf. Der Trend hat sich aber nicht durchgesetzt: zu anstrengend für die Augen. Beim Plakat von Antonia Ancot ist es ähnlich: Man muss durch eine rote Folie schauen, um „echter Geschmack“ lesen zu können, durch blaue Folie erscheint „schlechter Geschmack“. Was denn nun? Die Antwort ist ein klares Jein.

Jedoch funktionieren auch rein typografische Ansätze. Antonia Ancot bedient sich in ihrer Arbeit bei der 3-D-Ästhetik der 80er-Jahre: Setzt man eine rote Folienbrille auf, liest man auf dem Plakat „echter Geschmack“; durch eine blaue Brille geschaut, wird daraus „schlechter Geschmack“. Ein Vexierbild, das deutlich macht, dass Geschmack immer eine Frage der Perspektive ist.

„Auf der Suche nach den richtigen Bildern haben viele der Studierenden sehr tiefgreifende Erfahrungen gemacht“, sagt Goldstein. „Sie mussten ja immer wieder ihren eigenen Geschmack hinterfragen – da gab es nahezu psychoanalytische Momente.“ Und was hält der Dozent persönlich für schlechten Geschmack? „Wenn man nicht weiß, dass man selber auch schlechten Geschmack hat. Das ist die Lehre, die man aus dem Ganzen ziehen kann: Jeder hat schlechten Geschmack.“ (rpo)

Für weiteres Bildmaterial können Sie sich gerne an presse@fh-bielefeld.de wenden.