20.06.2018

„The end of design can be the beginning of identity“

10. CXI-Konferenz zum Thema »Corporate- und Brand-Identity« im Bielefelder Ringlokschuppen.

Bielefeld. Das Programmheft glänzt silbrig und verrät: Die Corporate Design-Konferenz CXI feierte dieses Jahr am 15. Juni ein Jubiläum mit knapp 900 Besucherinnen und Besuchern im Bielefelder Ringlokschuppen. Eingeladen waren Vortragende aus kleinen Designbüros und internationalen Agenturen zusammen mit ihren Auftraggebern, die herausragende Projekte, spannende Hintergründe und Prozesse ihrer Arbeit präsentierten. „Zehn Jahre CXI – wenn das kein Grund zu feiern ist“, meinte Veranstaltungsleiter Prof. Robert Paulmann, der seit 2014 Professor für Kommunikationsdesign und Corporate Design an der Fachhochschule Bielefeld am Fachbereich Gestaltung ist.

Die Konferenz begann mit der Präsentation des Relaunchs des neuen On-Air-Designs und Online-Auftritts des traditionsreichen britischen TV- und Rundfunksenders BBC. Ein neuer Corporate Font wurde bei Dalton Maag in Auftrag gegeben. Drei Voraussetzungen sollten mindestens erfüllt werden: »legible«, »visually distinct«, »save money«. Den Ergebnissen des rund zwei Jahre andauernden Prozesses merkte man Sorgfalt an. Das neue Schriftsystem, die BBC Reith Sans und Serif sowie Condensed, verhilft der Marke zu mehr Konsistenz, Lesefreundlichkeit sowie britischer Eleganz und unterstützt die humanistische Vision eines der Gründungsväter und ersten Direktors John Reith, der die BBC als Medium zur Bildung und Erziehung der Massen sah.

Zwei Giganten der deutschen Markenlandschaft gaben sich auf der Bühne die Ehre: Die Lufthansa und die Deutsche Bahn, die ihre Erkenntnisse aus ihren Branding-Prozessen mit dem Publikum teilten und Design-Schätze aus den Archiven hoben.

Die Deutsche Bahn strebt in einem agilen und diskursiv-partnerschaftlich geführten Positionierungsprozess mit der Peter Schmidt Group eine Öffnung sowie das Prüfen des bestehenden Corporate Designs auf zukünftige Anforderungen des sich stetig erneuernden Konzerns mit vielen Tochterunternehmen und Zukunftsprojekten an. Dabei begreift sich die Deutsche Bahn als »größte Lifestyle-Brand Deutschlands« und richtet den Fokus auf seine Passagiere sowie digitale Technologien. „Wir wollen das Markendesign jünger machen. Menschlicher, moderner werden“, so Michael Bütow, Leiter Markenführung, CD/CI und Markenprojekte bei der Deutschen Bahn.

Doch wo fängt man damit an, ohne die eigene Herkunft zu verleugnen? Behutsam werden die Grenzen des aktuellen Erscheinungsbildes ausgelotet und Spielräume identifiziert. Statt Markenpolizei zu spielen und neue Richtlinien zu formulieren, möchte man Orientierung und Freiheiten im Gestaltungssystem ermöglichen. Erste Ergebnisse aus der Arbeit am Corporate Design werden 2019 ausgerollt, unter anderem mit dem Relaunch des Themas Corporate Clothing.

Eine weitere deutsche Traditionsmarke gab Einblick in die Zusammenarbeit mit ihrer Agentur: Ronald Wild, Corporate Design Manager stellte die Überarbeitung des Erscheinungsbildes der Premium-Airline Lufthansa durch die Agentur Martin et Karczinski vor. Ausgangspunkt war die stagnierende Fortentwicklung der Marke, an der seit 30 Jahren kaum etwas verändert wurde. Die äußere Realität hat sich jedoch seit den späten 80ern enorm verändert. Die Digitalisierung schafft Barrieren ab, alles ist mit nur einem Klick verfügbar, Simplizität der neue Anspruch der Konsumenten.

Die Diversifizierung am Markt machte eine Neupositionierung der Airline nötig – das Premium Segment bedurfte einer neuen Strategie. »Markenarbeit ist die Sichtbarmachung innerer Haltung und folgt der strategischen Zielsetzung«, so Peter Martin, CEO von Martin et Karczinski. Die Bildmarke wurde verschlankt, mehr Fokus auf den Kranich – von der Designikone Otl Aicher gestaltet – gelegt, der sich jetzt etwas entschiedener in die Luft schwingt. Der Einsatz von Farbe wurde klar definiert. Eine Palette von Blautönen dominiert das Bild, das Gelb wird dezenter eingesetzt als Farbe zur Orientierung, aber auch mit Emotionen verbunden.

Dass Werbeagenturen auch Design können, bewies der Vortrag von Felix Steiner, Art Director bei Heimat, der ohne Vertreter auf Auftraggeberseite den Relaunch der Marke FDP vorstellte. Dem politischen Außenseiter, seit Jahren nur noch unter „Sonstige“ aufgelistet, gelang mit Hilfe eines neuen Erscheinungsbildes sowie Kampagnen der Wiedereinzug in den Bundestag sowie Länderparlamente. Die Aufgaben: »Awareness schaffen«, »Neuausrichtung kommunizieren», »Anwendbarkeit für alle«.

Nicht so leicht, denn die Kommunikation der FDP war verstaubt und trug weder den neuen Geist noch die Haltung der Spitzenkandidaten. Die Lösung: Die Farben Gelb und Blau wurden frischer und mit dem Farbton Magenta ergänzt. Des weiteren wurde der Begriff »Freie Demokraten« hinzugefügt, plakativ und größer als der Name der Partei. Das neue farbenfrohe Logo hob sich deutlich in der politischen Landschaft ab und stieß auf großes Interesse bei der Presse. »Abseits der politischen Blase waren wir plötzlich Popkultur. Damit haben wir den ersten Teil erfolgreich erledigt: Awareness schaffen«, so Felix Steiner.

Die letzte Präsentation enthüllte interessante Einblicke in die Zusammenarbeit der Vortragenden. Auf der Bühne: Die spanische Branding Agentur Saffron mit Gabor Schreier, Chief Creative Director, und Matt Atchison, Creative Director, und der Auftraggeber, Christopher Bettig von der Google-Tochter YouTube. Die Ausgangslage: YouTube wird weder von seinen Nutzern noch intern als Unternehmen wahrgenommen, sondern als allgemeines Kulturgut, Eigentum der User, Videomacher, Vlogger gesehen, als soziales Forum zur Unterhaltung, Bildung und Selbstdarstellung. Das Interface Design änderte sich jedes Jahr. »We had a really broken Design System«, bestätigte Christopher Bettig, Creative Director bei YouTube. Unterschiedliche Logo-Varianten waren im Einsatz und verschärften das Chaos. Ein Problem, welches YouTube nicht mehr allein lösen konnte. Saffron nahm sich dieses Problems an und sah sich mit einer schier unlösbaren Aufgabe konfrontiert: Wie verbindet man die Begriffe »free expression«, »democratic«, »personal«, »sub-culture«, »shared ownership«, »social«, »community« mit einem Corporate Design? Wo sollten sie damit beginnen? Ist das das Ende von Corporate Design?

Eine Metapher half, die Marke als Ort zu begreifen und damit eine Lösung zu entwickeln: YouTube als Stadt mit einem Zentrum, Sehenswürdigkeiten, Vierteln und Stadtteilen sowie eigener Kultur. Mit dem Ansatz des »Minimum Viable Brand« ging man das Projekt an und startete mit dem roten Icon, dem Play Button: Eine Farbe wurde definiert, Ecken gleichmäßig abgerundet, das Dreieck ausgerichtet, ein Raster erfunden, welches die Winkel des Dreiecks aufnimmt und als Container für grafische Inhalte dient. Weitere geometrische Symbole, wie Pause, Record und Stop, wurden dem grafischen Repertoire hinzugefügt.

Um sich an einem Ort zu orientieren, gibt es Schilder, Straßennamen, U-Bahn-Kennzeichnung, die charakteristisch sind für eine Stadt. So kam es zu der Idee, eine eigne Schrift für YouTube zu entwickeln, die es als Ort deutlich von anderen unterscheidbar macht. „We’ve got to be imperfect and quirky to be accessible, so people feel welcome”, erklärte Matt Atchison. Etwas mit Persönlichkeit, rund und weich, aber kraftvoll musste her – die YouTube Sans wurde entwickelt und passt hervorragend zu den vielfältigen Angeboten der Video-Plattform. Die Wortmarke in der Alternate Gothic wurde für den Einsatz auf Bildschirmen und Touchscreen optimiert, lesbarer und menschlicher gestaltet. Als YouTube-Display wird sie für die Submarken und Produktnamen eingesetzt und strukturiert nun die Markenarchitektur.

Mit dem Redesign legte Saffron die Basis für flexible Anwendbarkeit, Kreativität für die Anwender, demokratische Gestaltung. Und der Prozess wird weiter fortgeführt: “The end of design can be the beginning of identity.”

Die nächste CXI findet am 24. Mai 2019 statt.

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Text: CXI