Die Künste lassen sich als "Wahlheimat" des Improvisierens bezeichnen (Bertram/Rüsenberg 2021, S. 7). Doch auch in anderen Lebensbereichen besitzt Improvisation zentrale Bedeutung:
"Es ist charakteristisch für unsere menschliche Existenz, dass wir mit Unsicherheiten umgehen lernen und sie für uns produktiv machen können. Wir können Unsicherheiten sogar dezidiert suchen und tun dies auch oft. Dafür haben wir improvisatorische Fähigkeiten entwickelt" (Bertram/Rüsenberg 2021, S. 12).
Die alltagssprachliche Verwendung des Begriffs der Improvisation suggeriert, dass wir improvisieren, wenn ein detailliert ausgearbeitetes Konzept, aus welchen Gründen auch immer, nicht länger zur Verfügung steht. Die ursprüngliche Wortbedeutung (lat. Improvisus = unvorhergesehen/ it. Improvvisare = unvorbereitet extemporieren, dichten, singen) rückt das Unvorhergesehene, das Unerwartete und Unwägbare in den Fokus. Oft schwingt in missverständlicher Weise mit, dass Improvisieren eine Unbeherrschbarkeit und Abweichung von der Norm sei. Dabei beruht Improvisation auf "Erfahrung, Geistesgegenwart und eintrainiertem Vorgehen" (Bertram/Rüsenberg 2021, S. 17). Nicht zuletzt zeigt sich dies im Feld der Künste, in denen Improvisation etabliert ist: Soli im Jazz, Kontaktimprovisation im Tanz, Impro-Theater, der Umgang mit Zufall und Unwägbarkeit in den bildenden Künsten, im Film, in der Literatur, uvm. Auch in pädagogischen Zusammenhängen wird improvisiert (Gruppenimprovisationen, Instrumentalunterricht, Theatersport, Community Arts-Projekte, Tanz-Workshops…).
Die 13. Netzwerktagung greift das Themenfeld Improvisieren in der Kulturellen Bildung auf und möchte eine Ausdifferenzierung und Weiterentwicklung anregen. Im Rahmen der Tagung wollen wir uns dem Thema des Improvisierens, dem "kontrollierte[n] Kontrollverlust", der "situativen Veränderung von Regeln" und "einem gelingenden Antworten auf etwas, mit dem man nicht gerechnet hat" (Bertram/Rüsenberg 2021, S.19f.) widmen.
Die 13. Netzwerktagung fokussiert folgende Aspekte aus dem Konnex Improvisation und Kulturelle Bildung:
1) Improvisation als künstlerische Praxis (in Bildungskontexten) – unterschiedliche Forschungsperspektiven auf Improvisation Unterschiedliche Aspekte und Ideen von Improvisation durchziehen sämtliche künstlerische Sparten. Welche Bedeutung hat improvisatorisches Handeln in den jeweiligen Sparten? Wie werden die Ideen und Konzepte von Improvisation in der Praxis deutlich, welche Spiel- und
Bildungsräume entstehen für die Akteur_innen? Gefragt sind hier Beiträge unterschiedlicher Forschungsperspektiven, die sich mit Improvisation als künstlerischer Praxis (in Bildungskontexten) beschäftigen.
2) Improvisieren lernen – Bedingungen für Erwerb und Ausbau improvisatorischer Handlungskompetenz Was sind "improvisatorische Fähigkeiten", bzw. welche Voraussetzungen fordert das Improvisieren? Lässt sich der Umgang mit dem Unvorhergesehenen und Unwägbaren erlernen oder üben? Welche pädagogischen Settings sind dabei hilfreich und notwendig? Was kann Improvisation für die Kulturelle Bildung bedeuten? Welche Konsequenzen ergeben sich hieraus sowohl für die Lernenden als auch für Personen in lehrender bzw. vermittelnder Position?
3) Improvisation und Forschung Dieser Punkt zielt einerseits auf Methoden (bzw. deren Weiterentwicklung), improvisatorische Praxis mit dem Anspruch der Gegenstandsangemessenheit zu beforschen. Wie kann man Unwägbares methodisch (er-)fassen? Andererseits geht es hier um improvisatorische Elemente in der (empirischen) Forschung selbst. Wie lassen sich wissenschaftliche Standards und improvisatorisches Handeln miteinander vereinbaren? Oder sind sie vielleicht gar nicht voneinander zu trennen – und wie kann dann diese Verbindung reflexiv und transparent dargestellt werden.
Bertram, Georg W. & Rüsenberg, Michael (2021): Improvisieren! Lob der Ungewissheit. Ditzingen: Reclam.
Geri Thomann (2021): Improvisieren, Planen und Scheitern in der Pädagogik - Denken und Handeln in Optionen. In: Thomann, Geri/ Honegger, Monique (Hrsg.): Mit allem rechnen. Improvisieren in der Bildungsarbeit (46-64). Bern: hep Verlag.