28.06.2018

„Plakate sind wie meine Spielwiese.“

Wir waren hier! (Teil 1): Grafikdesigner Sven Lindhorst-Emme ist Absolvent des Fachbereichs Gestaltung. Seit 2011 hat er sein eigenes Studio – studio lindhorst-emme – in Berlin. Diesen Sommer ist er Jurymitglied des nationalen Designpreises des Landes Slowakei. Ich habe nachgefragt, was seine Arbeiten auszeichnet, was ihn beschäftigt und an welchen Projekten er momentan arbeitet.

Von Lena Gold

Frage:
Seit einigen Jahren betreibst du in Berlin-Kreuzberg ein eigenes Studio. Der Fokus von studio lindhorst-emme liegt in der Plakat- und Buchgestaltung, letzteres hauptsächlich im künstlerisch-kulturellen Bereich. Was fasziniert dich daran?

Sven Lindhorst-Emme:
An der Buchgestaltung gibt es wirklich Einiges, was mich fasziniert. Zu allererst das Medium Buch als solches, etwas mit Gedächtnis. Des Weiteren sind es die Materialien und ihr Mix. Spannend ist die Suche nach dem richtigen Papier, dem richtigen Einband, zum Beispiel Leinen. Oder überhaupt ein Leinen? Welche Materialien könnten sich sonst noch als Einband anbieten, die man nicht schon etliche Male gesehen hat? Kurzum: Das Ausleben an Kreativität finde ich in der Buchgestaltung neben dem Einhalten der technischen Vorgaben fast unerschöpflich. Auf der anderen Seite lerne ich bei jedem Projekt, in das ich mich einarbeite, etwas Neues. Das ist auch der Grund dafür, warum ich fast ausschließlich Kunst- und Fotografie-Bücher gestalte bzw. im Bereich Kultur arbeite. Im Gespräch mit den Künstlerinnen und Künstlern lerne ich die Arbeiten und das, was sie aussagen sollen, sehr gut kennen. Das fasziniert mich! So gibt es Arbeiten zum Thema Hochstapler wie Dear Clark von Sara-Lena Maierhofer oder das Ausstellungsdesign einer historischen Ausstellung zum Thema Internierungslager des ersten Weltkriegs… alles spannende Themen, aber teilweise weit entfernt voneinander, was ich gut finde.

 

Frage:
Wie würdest du die gestalterische Sprache deiner Plakate und Buchgestaltung beschreiben?

Sven Lindhorst-Emme:
Das ist ein schwierige Frage. Grundsätzlich denke ich eher laut, aber es hängt absolut vom Projekt ab. Bei Plakaten arbeite ich zumeist stark typografisch, zerre Schriften in die Länge, nutze Farbe, wobei ich gerade auch wieder schwarzweiß für mich entdeckt habe. Plakate sind wie meine Spielwiese. Da tobe ich mich kreativ gerne schon mal etwas aus. Bei Büchern sehe ich es anders. Ein Cover sollte ansprechend und auffällig sein. Beim Inhalt bin ich eher klassisch, sei es das Bildraster, der Satzspiegel oder insbesondere der Text. Ein Buch darf nicht ermüden, der Text muss lesbar sein und die Gestaltung darf dem Inhalt nicht die Show stehlen. Wenn es beispielsweise Fotografien beinhaltet, sollen diese im Vordergrund für die Betrachter stehen. Er darf zwar unterschwellig merken, dass das Buch gestaltet wurde, aber sollte nicht nur die Gestaltung sehen. Denn möglicherweise kennt er später den Inhalt nicht!

 

Frage:
Zusammen mit deinem Freund und Kollegen Fons Hickmann, für dessen Büro du gearbeitet hast, organisierst du seit vier Jahren die Ausstellung Anschlag Berlin – Zeitgeistmedium Plakat mit Arbeiten Berliner Plakatgestalter. Wie schätzt du die Entwicklung rund um das Thema Plakat ein?

Sven Lindhorst-Emme:
Anschlag Berlin ist ein Projekt, das ich aus voller Überzeugung ins Leben gerufen habe! Ich freue mich natürlich sehr, von Anfang an Fons mit an Bord gehabt zu haben. Wir wollen mit unserer Sammlung an Berliner Plakaten zeigen, welches kreative Potenzial in der Hauptstadt steckt und was hier entsteht. Zudem ist uns aber auch wichtig zu zeigen, dass das Plakat immer mehr als Kunst wahrgenommen wird. Aus meiner Sicht ist die Plakatgestaltung eine der einzigen Disziplinen im Grafikdesign, in der man sich absolut frei künstlerisch entfalten kann. Es erhält immer mehr Aufmerksamkeit und mittlerweile sogar Einzug in Museen. In New York hat vor kurzem eine Galerie eröffnet, die sich ausschließlich der Plakatkunst widmet… es bleibt also spannend, wo die Reise hingeht. Man kann sie aber auch zu einem gewissen Punkt selber vorgeben und lenken.

 

Frage:
Momentan kannst du dich vor Anfragen kaum retten. Neben zwei Lehraufträgen und zahlreichen eigenen Projekten bist du Mitte Juni als Jurymitglied beim nationalen Designpreis in Bratislava eingeladen. Welche Kriterien helfen dir bei der Entscheidungsfindung für oder gegen ein Projekt?

Sven Lindhorst-Emme:
Zu allererst ist es einfach so, dass es mich ansprechen und mir gefallen muss. Des Weiteren sollen natürlich Konzept und Umsetzung harmonisch sein. Wenn die Gestaltung zwar schön ist, aber nicht zum Projekt passt, ist es falsch – umgekehrt natürlich genauso. Dann folgen weitere Kriterien wie Innovation, Materialien, technische Umsetzung etc. Dinge, die Überraschen, sind immer gut. Wenn ich einen Trend sehe und dieser wird zuhauf bedient  – selbst wenn er gut ist – kann er sich ja nicht abheben. Solche Projekte verschwinden im Einheitsbrei, wenn ich das so böse sagen darf.

 

Links: Plakat Anschlag Berlin, Luzern, 2015 (Irisprint, Unikat Handsiebdruck, 855x1210mm, Siebdruck, Werkdruckpapier, Gestaltung gemeinsam mit Fons Hickmann) und Ausstellungsplakat Mein eigen Fleisch und Mut, Kunst Festival 48 Stunden Neukölln (rechts).

 

Frage:
Der kreative Prozess ist einer der wichtigsten Faktoren jeglicher Gestaltung und bedarf Zeit. Was kennzeichnet deine Arbeitsweise und woher holst du dir deine Inspirationen?

Sven Lindhorst-Emme:
Ich hatte kürzlich in einem anderen Interview die Aussage gemacht „Der kreative Prozess ist eigentlich das Ineffizienteste, was man sich vorstellen kann und trotzdem einer der wichtigsten Faktoren jeglicher Gestaltung“. Hinter dieser Aussage stehe ich sehr und sie beschreibt auch gut das Vorgehen: Zeit, ausprobieren und scheitern, Entwürfe verwerfen, neu anfangen, zurück auf Start und wieder überlegen. Neben einer grundlegenden Gestaltungshaltung, die man als Designer haben sollte, sind das eben die unerlässlichen Prozesse. Woher kommen Inspirationen? Ich denke teilweise einfach unterschwellig von Gesehenem, das einem im Gedächtnis geblieben ist, dann aber auch stark aus der Geschichte. Es gab (fast) nichts, was es nicht schon einmal gab. Wir haben nur jetzt die Chance, es an unsere Zeit anzupassen. Das macht mir Spaß. In der Geschichte des Grafikdesigns gab es so wundervolle Arbeiten, die mich inspirieren. Von dem „Kieler Wochen Plakat“ von Hans Hillmann über Lucien Bernard mit seinen Sachplakaten, Willi Fleckhaus und Heinz Edelmann bis hin zu Annette Lenz und dem Designteam Cyan [Daniela Haufe und Detlef Fiedler], um nur einige wenige zu nennen. Ich denke, dass man sich umschauen und die Augen offen halten sollte, ohne Andere zu kopieren. Wenn man dann sein eigenes Ding macht, dann wird es auch gut.

 

Frage:
Was verbindet dich mit unserem Fachbereich?

Sven Lindhorst-Emme:
Als jemand, der in Bielefeld geboren wurde und dort aufgewachsen ist, beziehungsweise im kleinen Schloß Holte-Stukenbrock, verbindet mich natürlich einiges mit Bielefeld. Aber auch mit der FH Bielefeld. Ich hatte mir schon 1997 den Fachbereich Gestaltung angeschaut, mich dann aber doch erst für eine Ausbildung entschieden. Elf Jahre später, mit 30 Jahren, habe ich dann doch angefangen in Bielefeld zu studieren. Persönlich finde ich es außerordentlich spannend, dass dort alle drei Designrichtungen – Grafikdesign, Fotografie und Modedesign – in einem Haus untergebracht sind. Dadurch ergaben sich viele spannende Zusammenarbeiten, Kontakte und Freundschaften. Das damalige Institut für Buchgestaltung sowie die typografische Ausbildung bei Dirk Fütterer und Peter Zickermann haben mich auf die Zeit nach dem Studium gut vorbereitet. Hier habe ich sehr viel gelernt und ich hatte immer das Gefühl, gut ausgebildet in die Berufswelt zu starten. Dafür bin ich nach wie vor dankbar. Bielefeld als Standort, ebenso die FH, haben einen entscheidenden Vorteil. Der große Vorteil ist, dass man sich mehr als frei entfalten kann. Wohingegen andere Standorte mit überhäufender Inspiration, der Erwartungshaltung an eine Region und vor allem dem Image einer Hochschule, wenn man dort studiert hat, die Studierenden bedrängt, entfällt dies in Bielefeld. Man ist ein wenig in diesem ostwestfälischem Tal gefangen. Design hat im Alltag der Bielefelderinnen und Bielefelder wenig Platz. Daher werden die Design-Studierenden oft ein wenig wie Paradiesvögel angesehen. Man wird nicht immer ganz ernst genommen.

 

Interieur Studio Lindhorst-Emme

 

 

Frage:
Seit einiger Zeit unterrichtest du am Lette-Verein Berlin und seit diesem Semester hast du einen Lehrauftrag an der Universität der Künste (UdK) in Berlin. Was möchtest du jungen Designerinnen und Designern für ihre Zukunft mit auf den Weg geben?

Sven Lindhorst-Emme:
Das ist die große Frage! Darauf gäbe es sicherlich eine Menge an Antworten. Ich denke beruflich gesehen ist es so, dass du dir treu bleiben solltest. Deine Arbeit muss dir Spaß machen. Wer mag schon etwas wiederwillig tun? Also such` dir spannende Projekte. Wenn du deine Arbeit gerne machst, machst du sie gut. Das ist meine Erfahrung. Auf der anderen Seite muss man aber auch schauen, dass wir uns nicht zu einer Spezies der Selbstausbeuter entwickeln. Da nehme ich mich gar nicht aus, aber ärgere mich dann auch immer über mich selbst. Ich kann allen raten: Nur weil man seinen Job gerne macht, heißt das nicht, dass man umsonst arbeiten soll. Das gibt es in keiner anderen Branche außer im Design. Eure Arbeit ist etwas Wert. Und wenn man etwas als Freundschaftsdienst macht, dann muss zumindest ein Essen oder das Bier am Abend drin sein. Ich weiß natürlich auch, dass die Konkurrenz, gegen die man sich durchsetzen muss, groß ist. Verkaufen unter Wert ist aber auf Dauer keine Lösung. Irgendwann muss man Preise gegebenenfalls anheben und spätestens dann wird es schwierig bei Kunden, die Dumpingpreise gewohnt sind. Im Design selber sollte man viel Ausprobieren. Schaut nach links und rechts, wagt mal etwas. Lasst Euch kritisieren und nehmt den Teil der Kritik an, der Euch etwas gibt. Den anderen Teil schiebt beiseite. Da Kritik an unserer Arbeit immer auch ein Teil Kritik an der Person ist, kann es einen manchmal ganz schön runterziehen. Aber das sollte nicht passieren. Steht zu Euch und vor allem Eurer Arbeit, habt Spaß und zeigt es auch. Das ist denke ich das Wichtigste.

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Über Sven Lindhorst-Emme

Sven Lindhorst-Emme, geboren 1978 in Bielefeld, ist gelernter Lithograph und war vor seinem Studium für Grafik- und Kommunikationsdesign an der Fachhochschule Bielefeld knapp zehn Jahre in der Werbung tätig. 2011 gründete er in Berlin sein eigenes Studio mit dem Namen studio lindhorst-emme. Seine Arbeiten sind auf zahlreichen internationalen Ausstellungen gezeigt und mehrfach mit internationalen Preisen ausgezeichnet worden. Er ist Mitglied des TDC New York sowie im Verein 100 Beste Plakate und unterrichtet Buchgestaltung und Typografie am Lette-Verein Berlin, seit dem Sommersemester 2018 hat er zudem einen Lehrauftrag im Fach Typografie an der UdK Berlin. Zur Zeit ist er Jurymitglied des National Design Price Slovakia. Weitere Informationen unter: www.lindhorst-emme.de

 

Lena Gold ist nach mehrjähriger Berufserfahrung aktuell Masterstudentin (Modedesign) am Fachbereich Gestaltung und beschäftigt sich u. a. mit den Themen Minimalismus und Nachhaltigkeit in der Mode. Für ihren Bachelorabschluss (2013) „serie no. 5“ übernahm Sven Lindhorst-Emme die Buchgestaltung.