Stereotype im Sport: Fachbereich Gestaltung konzipiert interdisziplinäre Tanzperformance
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American Football trifft auf Ballett, Eishockey auf Tanz: Am Fachbereich Gestaltung der HSBI „spielen“ Studierende mit Geschlechterstereotypen im Sport. Für eine Kooperation mit der Hochschule für Musik und Tanz in Köln entwerfen die Studierenden Kostüme für eine Tanzperformance und setzen sie durch eine Kameralinse in Szene. Die Ergebnisse werden auf der Werkschau am 7. Juli präsentiert.
Bielefeld (hsbi). Gleich mit mehreren Studienrichtungen ist der Fachbereich Gestaltung der Hochschule Bielefeld (HSBI) an diesem Montag bei einer Kostümprobe in der Lampingstraße vertreten: Mode-Studierende korrigieren Kostüme an den Körpern ihrer Models. Eine Nebelmaschine, eine Kamera und mehrere Scheinwerfer sind auf eine Ecke des Raums gerichtet, in der sich eine Tänzerin mit fließenden Bewegungen dreht. Daneben überprüfen Studierende der Studienrichtung Digital Media and Experiment (DMX) ihre Kameraarbeit auf einen Bildschirm.
Die Kostümprobe im Videostudio ist Teil eines gemeinsamen Projektes der HSBI und des Zentrums für Zeitgenössischen Tanz der Hochschule für Musik und Tanz (HfMT) Köln. Mode-Studierende entwerfen Kostüme für eine Tanzperformance, die Kölner Tänzerinnen und Tänzer stellen sich als Models zur Verfügung, und die DMX-Studierenden halten alles im Bild fest. „Das verbindende Element für die verschiedenen Studienrichtungen ist die Auseinandersetzung mit Körpern, Bewegung und Raum“, sagt Philipp Rupp, Professor für das Lehrgebiet Kollektionsgestaltung und Modedesign an der HSBI und einer der Betreuer der Kooperation. Das Projekt wird außerdem begleitet von Prof. Dr. Anna Zika, Lehrgebiet der Theorie der Gestaltung am Fachbereich. In ihrem Seminar zur Kulturgeschichte von Tanz und Bewegung machten sich die Studierenden aller Studienrichtungen mit der Anthropologie und dem weiten Spektrum gemeinsamer Bewegung vertraut – sei es als höfisches Schreiten, im ritterlichen Zweikampf, beim Tanzsportwettbewerb oder im religiösen Ritual verschiedenster Kulturen. Erstaunliche Parallelen eröffneten sich beispielsweise zwischen den antiken Bacchanalien und den Raves der Neuzeit. Viele dieser Tanzphänomene waren und sind an einen ganz eigenen Kleidungsstil geknüpft.
Zwischenstand: Erstes Treffen von Kostüm und Tanz in Köln. Video: N. Ishar/ZZT
Das Kostüm als Identitäts- und Geschlechtswechsler
Sport neu denken – dieser Ansatz ist ein weiteres verbindendes Element. Die Kostüme greifen männlich konnotierte Sportarten wie American Football, Rugby und Motocross auf und spielen gleichzeitig mit Geschlechterklischees. „Wir setzen uns mit der Verwendung von Kostümen als Identitäts- und Geschlechtswechsler auseinander“, fasst Rupp den Projektschwerpunkt zusammen.
Mode-Studentin Lorena Kapp kombiniert für ihr Kostüm Eishockey mit Ballett: „Ich will herausfinden, was passiert, wenn man die männlich erstarrte Silhouette fragil gestaltet“, erläutert sie und deutet auf das Kostüm, das Tänzerin Juliana Garaycochea trägt. „Die Kapuze soll an einen Hockeyhelm erinnern. Die Maße entsprechen dem Helm, aber der Stoff ist weich und formbar.“ Garaycochea sagt, dass es für sie in dieser Kleidung gar nicht so einfach ist, männlichen Stereotypen zu entkommen: „Normalerweise tanze ich mit flüssigen Bewegungen. In diesem Kostüm fühle ich mich aber breiter, männlicher. Also tanze ich auch maskuliner.“
Kooperation zwischen der HSBI und der HfMT Köln
Bereits zum zweiten Mal kooperiert die HSBI mit der HfMT Köln: 2021 entwarfen Mode-Studierende Kostüme für die Kölner Tanzperformance „Global Water Dance“. Schnell kam der Wunsch nach einer neuen Zusammenarbeit auf. Gesagt, getan: Bei einem Kick-off-Meeting im April trafen sich die Mode- und Tanz-Studierenden unter der Projektleitung von Rupp und Prof. Jan Burkhardt vom Zentrum für Zeitgenössischen Tanz in Köln. Hier fanden sich Tänzer und Gestalterinnen zu Paaren zusammen, erste Kostümskizzen entstanden. Gemeinsam besuchten sie auch ein Seminar zur Geschichte des zeitgenössischen Tanzes. So erhielten die Mode-Studierenden einen theoretischen Einblick in die Gattung Tanz. Zurück in Bielefeld folgte die eigentliche Arbeit: Die Mode-Studierenden setzten sich intensiv mit ausgewählten Sportarten auseinander und überarbeiteten ihre Kostümskizzen. Im Seminar „Games, Costumes, Genders & Identities“ präsentierten sie ihre Ideen und erhielten Feedback von Rupp und ihren Kommilitoninnen und Kommilitonen. Und dann war es endlich soweit — die Tanzstudierenden kamen zur erste Anprobe nach Bielefeld.
„Das Feedback der Tänzer*innen ist uns enorm wichtig. Wir müssen wissen, ob alle Bewegungsabläufe funktionieren oder ob es irgendwo drückt oder einengt“, stellt Trisnadiel Salawane fest, während Tänzerin Noera Roberg im Studio ein paar Tanzschritte ausprobiert. Salawane hat sich vom Motocrosssport inspirieren lassen und ein Kostüm rund um einen Rückenprotektor entworfen. Nach einem letzten kritischen Blick auf ihr Kostüm stellt sich Salawane gemeinsam mit Roberg in die Schlange, um die Tänzerin in ihrem Kostüm professionell fotografieren zu lassen.
Digitale Gestaltungsformate erweitern den Blick auf den Tanz
In diesem Jahr sind erstmals auch DMX-Studierende bei der Kooperation zwischen der HSBI und der HfMT Köln dabei: „Sie ermöglichen uns einen neuen Blickwinkel auf unsere Arbeit“, sagt Rupp. Froh über die interdisziplinäre Zusammenarbeit ist auch Prof. Claudia Rohrmoser, Koordinatorin der Studienrichtung Digital Media and Experiment: „In DMX entwerfen wir Medieninstallationen und multimediale Bühnenbilder. Hier kommen die Kostüme erst richtig zur Geltung.“
Die DMX-Studierenden organisieren während der Kostümprobe gleich zwei Bildinszenierungen: Eine Gruppe filmt unter der Leitung von Dozent Marcus Wildelau die kostümierten Tänzerinnen und Tänzer im professionellen Setting mit Nebelmaschine und Scheinwerfern, eine andere Gruppe erstellt Behind-the-Scenes-Material. „Wir haben sehr viel Freiheit, um unsere Ideen zu verwirklichen“, sagt Jana Nesgutski, DMX-Studentin im sechsten Semester. „Durch Aufnahmen in Zeitlupe versuchen wir, die Schwerelosigkeit der Tänzer*innen festzuhalten.“
Die entstandene Videoarbeit TRANSCENDENTIA erweitert das Projekt um eine videokünstlerische Position, in der Atmosphäre, Körper und Bewegung eine prägende Rolle spielen. Stark verlangsamte Schwarzweissbilder erschaffen eine erhabene Zwischenwelt, in der die Menschen zu schweben scheinen und nur über ihre Kleidung und den Tanz kommunizieren.
Präsentation der Ergebnisse auf der Werkschau 2023
Die gemeinsame Arbeit der Studierenden aus Tanz, Mode und DMX wird als Installation im Foyer des Fachbereichs Gestaltung in der Lampingstraße präsentiert. „Wir erarbeiten derzeit außerdem ein Konzept, um die Arbeiten in Videoform während der Werkschau am 7. Juli zeigen zu können“, sagt Rupp noch. (cwi)
Weitere Informationen:
Der Fachbereich Gestaltung bietet mit vier Studienrichtungen ein breites Spektrum gestalterischer Disziplinen: Digital Media and Experiment (DMX), Fotografie und Bildmedien, Kommunikationsdesign und Mode.
Die Abschlussarbeiten der Bachelor- und Masterstudierenden des Fachbereichs Gestaltung werden jedes Semester in einer Werkschau in den Räumen der Lampingstraße ausgestellt. Die Werkschau des Sommersemesters 2023 wird am Freitag, 7. Juli um 18 Uhr eröffnet. Auch am Samstag, 8. Juli und Sonntag, 9. Juli können die Abschlussarbeiten jeweils von 11 – 17 Uhr besichtigt werden. Außerdem sind die Arbeiten integriert in die Werkschau-Website, die Semester für Semester weiter bestückt wird.